Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Synthese
fatum 6 | , S. 19
Inhalt

Synthesen und Mathematik

Alles nur Meta-(Ge)schichten

Schreiben philosophierende Geister ihre in mühsamer Arbeit hervorgebrachten Gedanken und intellektuellen Ideen nieder, so manifestieren sich nicht selten sonderbar schrullig skurrile Synthesen. Doch neben der sich hier aufdrängenden Frage, was Synthesen eigentlich so sonderbar schrullig machen könnte und warum gerade philosophierende Geister hierfür anfällig zu sein scheinen, kann man sich auch die viel weniger polemische Frage stellen: Womit haben wir es eigentlich zu tun, wenn wir es mit Synthesen zu tun haben? Der Duden, oder zumindest dessen digitaler Abkömmling1, gibt für die denkbaren Bedeutungen des Wortes „Synthese“ folgende Auswahlmöglichkeiten:

  1. Vereinigung verschiedener [gegensätzlicher] geistiger Elemente, von These und Antithese zu einem neuen [höheren] Ganzen,
  2. Verfahren, von elementaren zu komplexen Begriffen zu gelangen
  3. Aufbau einer Substanz aus einfacheren Stoffen.

Hierbei werden die ersten beiden Optionen explizit zur semantischen Kategorie der Philosophie gezählt, die dritte Option der Chemie zugerechnet. Die in c) dargelegte mögliche Interpretation des Begriffs der Synthese will ich also, in Anbetracht der anfangs aufgestellten Hypothese, beruhigt vernachlässigen.

Da jedoch einem Versuch, analysierend über etwas zu schreiben, welches eben nicht nur nacheinander verschriftlichte, offensichtlich vernachlässigbare Aussagen sind, ein gewisser naiver Anspruch an „Wissenschaftlichkeit“ (oder im vorliegendem Fall vielmehr eine minimal zum eigenen Nachdenken des Lesers anregende Argumentationskette, welche auf nicht ganz hahnebüchen herbeigezogenen Fundamenten stehen soll) innewohnt, habe ich mich auf die Suche nach einer zweiten Quelle begeben, welche mir das eben aufgeführte Verständnis der Zeichenkette „Synthese“ bestätigen (oder besser: widerlegen) kann. Fündig wurde ich auf dem deutschsprachigen Internetauftritt der von jedermann befüllbaren Enzyklopädie Wikipedia2. Diese will „Synthese“ wiederum als eine Art Umsatz oder Vereinigung von zwei oder mehr Elementen oder Bestandteilen zu einer neuen Einheit verstanden wissen.

An diesem noch immer anfänglichen Punkt meines Versuchs einer Analyse von Synthese in einem noch nicht genauer benannten Zusammenhang mit Mathematik ist mit den bisher vorgebrachten Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs der Synthese ein erstes noch einzuschränkendes Fundament aufgetan, auf das ich mich im Kontext dieses Versuchs berufen möchte. Hierbei ist dieses Fundament insofern einzuschränken, dass entschieden wird, wie das Verhältnis der zwei aufgezeigten Interpretationsmöglichkeiten verstanden werden kann.

Doch bevor nun das Verhältnis der jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten meiner zwei gefunden Quellen zueinander determiniert werden kann, will ich die zwei verbliebenen Optionen der Auflistung des (Internetauftritts des) Dudens genauer betrachten.

Nach der Option a) kann man zu einer Synthese gelangen, indem man verschiedene, evtl. gar gegensätzliche geistige Elemente, wie etwa eine These und eine Antithese, irgendwie miteinander vereinigt, um zu einem neuen, vielleicht sogar höheren Ganzen zu kommen. Was allerdings die hier auftretenden Begriffe und Konzepte wie geistige Elemente, These, Antithese, Vereinigung oder ein neues (höheres) Ganzes eigentlich bedeuten können, werde ich mit Ausnahme des neuen höheren Ganzen nicht betrachten und dem Leser als nach seinem Belieben bekannt voraussetzen. An der Option b) ist auf analoge Weise abzulesen, dass eine Synthese erhalten werden kann, indem mittels eines Verfahrens von einfachen zu komplexen Begriffen gelangt wird. Als Mittel der Wahl, um herauszufinden, wie diese zwei Interpretationsmöglichkeiten zusammenhängen, versuche ich, die eine mithilfe der anderen zu verstehen und umgekehrt. Ich tue also so, als ob Option a) die Wahrheit spricht und versuche herauszufinden, unter welchen Umständen Option b) dann lügt, oder auch die Wahrheit, aber in anderen Worten, spricht.

Wenn also Option a) der Wahrheit entspricht und diese direkt ausdrückt, so kann Option b) derart verstanden beziehunsgweise interpretiert werden, dass auch diese als Wahrheit, wenn auch in abgewandelter Form, verstanden werden kann. Hierfür könnte etwa das nicht näher erläuterte Verfahren direkt als eine ebenfalls nicht ausführlicher betrachtete Vereinigung verstanden werden, die elementaren Begriffe könnten als die verschiedenen, evtl. gegensätzlichen, geistigen Elemente verstanden werden, also als auch wiederum nicht näher beschriebenes Paar von These und Antithese, und das neue höhere Ganze mit den komplexen Begriffen identifiziert werden.

Vereinigung verschiedener geistiger Elemente, von These und Antithese zu einem neuen höheren Ganzen  
     
Verfahren, von elementaren (Begriffen) zu komplexen Begriffen zu gelangen

Da sich die umgekehrte Denkrichtung, also die Überlegung, wie Option a) verstanden werden könnte, wenn b) die Wahrheit darstellt, in analoger Weise durchdenken lässt, indem man wiederum dieselben Wortpaare für eine mögliche gegenseitige Übersetzung identifiziert, will ich dies nicht umfänglich durchführen und der Kreativität des Lesers überlassen. Jedenfalls scheint es also der Fall zu sein, dass die Interpretationsvorschläge des (digitalen Abkömmlings des) Dudens sich nicht widersprechen müssen, sondern als gleichbedeutend, zumindest innerhalb des Kontextes der eben dargestellten gegenseitigen Übersetzungsvorschläge, angesehen werden können. Dank eben dieser Gleichwertigkeit ist es nun auch durchaus sinnvoll begründbar, dass ich ab sofort nur Option a) weiter berücksichtigen werde, da keine Aussage, oder Erkenntnisse durch das Vernachlässigen der Option b) verloren gehen, weil a) und b) eben ineinander übersetzt werden können und so jede mögliche nun folgende Argumentation analog mit der jeweiligen Übersetzung durchdacht werden könnte.

Zu fragen bleibt an dieser Stelle, wie sich die Dudenvariation zur Wikipediaoption verhält. Dies möchte ich durch eine wiederholte Anwendung eben dieser Methode des Vergleichs erzielen. Wenn hierfür der Umsatz oder die Vereinigung aus Wikipedia mit der Vereinigung der Dudendefinition identifiziert wird, die zwei oder mehr Elemente oder Bestandteile als verschiedene, evtl. gegensätzliche, geistige Elemente und schließlich die neue Einheit als das neue, höhere Ganze interpretiert wird, so bleibt es, sich nun zu überlegen, was mit der These und Antithese aus dem Dudenvorschlag anzustellen ist, da noch kein passendes Gegenstück hierfür in dem Wikipedia-Interpretationsvorschlag ausgemacht wurde. Bedauerlicherweise ist allerdings jeder wirklich inhaltsbeladene Begriff, beziehungsweise jedes Konzept, bereits mit einem Gegenstück versehen, sodass ich nun entweder anerkennen muss, dass die zwei betrachteten Interpretationsvorschläge für den Begriff „Synthese“ im Kontext meiner Vergleichsmethode sich nicht ent- sondern widersprechen, oder ich begreife sowohl die These als auch die Antithese, als von einem bereits belegten Begriff des Wikipediavorschlags mitumfasst.

Ein Widersprechen der zwei Interpretationsvorschläge würde meine bisherige Argumentationskette obsolet machen. Daher, und aus eigener Neugier, wohin dieser Gedankengang noch führen könnte, entscheide ich mich für die zweite Variante und versuche, die zwei noch nicht verpartnerten Begriffe in bereits besetzte unterzubringen, indem ich These und Antithese als zwei oder mehr Elemente oder Bestandteile des Wikipediaansatzes verstehen will.

Vereinigung verschiedener geistiger Elemente, von These und Antithese zu einem neuen höheren Ganzen
     
Umsatz (Vereinigung) von zwei oder mehr Elemenent (Bestandteilen) zu einer neuen Einheit

Mit diesen Entscheidungen ergibt sich nun analog zu oben eine gewisse Gleichwertigkeit der beiden betrachteten Synthesedefinitionen und damit könnte ich hier einen Schlussstrich unter diesen Artikel ziehen, da meine eingangs gestellte Frage, womit wir es eigentlich zu tun haben, wenn wir es mit Synthesen zu tun haben, hiermit für diesen Kontext, sprich unter eben den getroffenen schwerwiegenden Einschränkungen, wie etwa die implizite Entscheidung für das gewählte schwachstellenbeinhaltende Vorgehen meinerseits, die sehr eingeschränkte Auswahl an denkbaren Definitionsmöglichkeiten, das mindestens ebenso wenig scharf umrissenen Vergleichsverfahren und so weiter, beantwortet ist.

Allerding verbliebe der Synthesenbegriff damit sowohl einigermaßen unscharf umrissen als auch unbelastet. Daher will ich nun die Frage betrachten, ob es eine Synthese – nach dem oben aufgeführtem Verständnis des Begriffs – innerhalb der Mathematik im weitesten Sinne geben kann. Zu den Dingen beziehungsweise Eigenschaften der Mathematik, auf die ich hierbei besonderen Wert lege und auf die ich meine restliche Argumentation aufbaue, gehört etwa der Umstand, dass Mathematik stets bedeutet, dass in einer formalen Theorie von grundlegenden, als einfach wahr angenommenen, Sachverhalten – sogenannten Axiomen – ausgehend verschiedene Aussagen getroffen werden, deren Zusammenhang überprüft und nachvollzogen, sprich formal bewiesen, werden kann, obwohl das Ganze in einer Sprache geschieht, die von der entsprechenden zugrundeliegenden Theorie abstrahiert und dadurch zwar minimal schwammiger und deutlich lesbarer wird, aber trotzdem keinerlei Stringenz verliert.

Was könnte somit eine Synthese innerhalb der Mathematik darstellen? Mögliche Kandidaten aus dem Kosmos der Mathematik wären etwa sogenannte Widerspruchsbeweise über Zusammenhänge von verschiedenen Aussagen. Hier wird unterstellt, dass zwei verschiedene Aussagen auf eine bestimmte, wohlformulierbare Weise im Kontext der entsprechenden Theorie zusammenhängen. Um diesen Zusammenhang nun zu beweisen, wird von dem gegenteiligen Zusammenhang ausgegangen und versucht von diesem gegenteiligen Zusammenhang nun mittels in der Theorie verfügbarer Ableitungs- und Schlussfolgerungsmethoden einen Widerspruch zu erzeugen. Gelingt dies, muss der ursprüngliche Zusammenhang gelten und die eigentliche Aussage ist bewiesen. Wird nun auf derartige Widerspruchsbeweise die obige Vergleichsmethode angewandt, um diese mit der Option a) der Dudendefition des Begriffs Synthese zu vergleichen, so stellt sich heraus, dass, wenn etwa These und Antithese als sich gegenseitig ausschließende geistige Elemente mit den sich gegenseitig ausschließenden Zusammenhängen der verschiedenen Aussagen identifiziert werden und das damit bewisene Theorem als das neue höhere Ganze erkannt wird, ein derartiger Widerspruchsbeweis als Synthese interpretiert werden kann.

Einen möglichen Ansatzpunkt für Kritik möchte ich hier nicht dem geneigten Leser überlassen, indem er für sich selbst eine bessere Alternative entwickelt, sondern direkt ansprechen, da ich sie selbst als so fundamental betrachte, dass ich persönlich der Meinnung bin, dass es in gewisser Hinsicht innerhalb der Mathematik keine Synthesen im obigen Verständnis geben kann. Dieser Ansatzpunkt ist der Begriff des neuen höheren Ganzen und somit auch das damit identifizierte Theorem. Dabei gilt die Kritik einzig und allein der Eigenschaft neu zu sein, welche durch die Identifizierung des Theorems mit dem neuen Ganzen in beiden Verständniswelten zutreffen muss. Es muss also insbesondere das Theorem neu sein. Ob allerdings ein Theorem oder irgendeine Erkenntnis innerhalb der Mathematik neu sein kann, hängt wesentlich von dem Verständnis des Konzepts neu und der eigenen Entscheidung über eine andere Fragestellung ab: Wird Mathematik erfunden oder entdeckt?. Tritt ein Theorem also erst dann in Existenz, wenn es jemand denkt, oder gilt das Theorem auch unabhängig davon, ob es gedacht, erkannt, gewusst wird? Wie diese Frage entschieden wird, will ich gerne dem Leser überlassen, da es für beide Positionen durchaus überzeugende Argumente gibt. Wird nun aber neu als Konzept derartig verstanden, dass etwas genau dann neu ist, wenn es einen Zeitpunkt im Universum beziehungsweise ein Ereignis (in der Zeit) gibt, welcher/s ausgemacht werden kann, für den/das gilt, dass vor ihm das entsprechende Neue in irgendeiner Weise nicht existiert, nach ihm in der gleichen Weise allerdings schon, so würde für ein neues Theorem folgen, dass es einen Zeitpunkt im Universum geben muss, vor dem das Theorem – in irgendeiner Weise – falsch war und nach dem es – in der gleichen Weise – nun zutrifft. Soll diese Art und Weise, in der ein Theorem zutreffen oder nicht zutreffen kann, derart verstanden werden, dass es innerhalb der entsprechenden Theorie ableitbar oder eben nicht ableitbar ist, so muss ich gestehen, dass ich persönlich dem nicht folgen kann. Wird falsch sein und zutreffen hier allerdings derart verstanden, dass es sich auf das konkrete, bewusste Wissen einer Person bezieht, sodass gesagt werden kann, ein Theorem trifft ihres Wissens nach nicht zu und, nachdem die Person eben Kenntnis über jenes Theorem erlangt hat, gesagt werden kann, dass dieses Theorem ihres Wissens nach zutrifft und es damit für die Person neu ist, so kann ich durchaus zustimmen, dass es in diesem Kontext Synthesen in der Mathematik gibt.


  1. http://www.duden.de/rechtschreibung/Synthese (aufgerufen: 30. Mai 2017).
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Synthese (aufgerufen: 30. Mai 2017).

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