Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
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fatum 1 | , S. 9
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Was ist das: Philosophie?

Antwort von PD Dr. Jörg Wernecke

Was denn die Philosophie sei, darüber besteht seit Anbeginn bis heute ein nicht enden wollender Disput. Einer der Begründer der modernen empirischen Psychologie und des philosophischen Pragmatismus, William James, meinte gar, welche Philosophie man wähle, hänge von der persönlichen Vorliebe, der jeweiligen Persönlichkeit ab. Es sei dahingestellt, ob man dieser Charakterisierung folgen mag. Zumindest wird die Philosophie bis heute zuweilen als ein Ärgernis wahrgenommen. Sofern man Platons Ausführungen Glauben schenken darf, hat bereits Sokrates mit seinem beharrlichen Fragen seine Zeitgenossen provoziert. Sich nicht mit voreiligen Antworten zufrieden zu geben, einen angeblichen status quo nicht einfach hinzunehmen, Wissen statt bloßer Meinung einzufordern, Gründe erkennen zu wollen, einer dumpfen Gleichgültigkeit entgegenzutreten und eine gelingende Lebenspraxis zu finden, ist bis heute vielen Bedürfnis und Herausforderung zugleich. Max Horkheimer hat die Situation z. B. wie folgt beschrieben: Philosophie ist der methodische und beharrliche Versuch, Vernunft in die Welt zu bringen; das bedingt ihre prekäre, umstrittene Stellung. Sie ist unbequem, obstinat und zudem ohne unmittelbaren Nutzen, also wirklich eine Quelle des Ärgernisses. (Horkheimer, Max, Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie, S. 286). Nun ja, ob sie ohne unmittelbaren Nutzen sei, auch darüber lässt sich wahrlich (nicht nur) unter Philosophen streiten. Sicher ist, dass sie entscheidend unser Verständnis von Wissen und Wissenschaft geformt und begleitet hat. Sei es die Rolle der Mathematik, die Wahl unserer Erkenntnisinstrumente, die Reichweite unserer Erkenntnismethoden, das Verhältnis von Theorie und Praxis: stets hat sie unsere Orientierungsversuche in der Welt, selbst über die Emanzipationsprozesse moderner Wissenschaften hinaus, entscheidend geprägt. Die Gegenwart hält für die Philosophie nicht weniger Aufgaben bereit angesichts eines technologischen Wandels, der sämtliche Lebensräume durchdringt und verändert. Allen postmodernen Unkenrufen zum Trotz stellt die Moderne mit ihrer tiefgreifenden Dynamik in Wissenschaft und Gesellschaft nach wie vor eine Herausforderung hinsichtlich einer gelingenden Integration dar. Die Moderne hat ihren Preis, deren Lasten oft ungleich verteilt sind: seien es die angesichts einer technologischen Prägung verursachten nichtintendierten Nebenfolgen i. S. von Umweltschäden oder neue Formen der Abhängigkeiten infolge einer globalen Ökonomie, seien es Verunsicherungen des Selbstbildes des Menschen angesichts der zu erwartenden biotechnologischen und informationstechnologischen Möglichkeiten. Es bedarf innovativer Problemlösungsstrategien, die, jenseits wissenschaftlich-technologischer Omnipotenzphantasien oder postmoderner Unverbindlichkeit, in Form eines von Vernunft und Verantwortung getragenen Orientierungswissens eine Verständigung über die ethisch und politisch zu verwirklichenden Ziele herbeiführt und Lösungswege aufzeigt. Mag die Philosophie in ihren Diskursen zuweilen auch sehr theoretisch auftreten, ist ihre eigentliche Ausrichtung genuin praktisch. Entsprechend ist die aristotelische These, wonach die theoria die höchste Form der praxis sei, nur die andere Seite des kantschen Bekenntnisses, wonach die Theorie auf einen Primat des Praktischen verweise: stets geht es um Einsicht, Verstehen, Wissen im Hinblick auf die Bewältigung menschlicher Existenz angesichts einer umgreifenden Kontingenz, die zuweilen auch Agnostiker auf den Plan ruft.

Von Neugierde angesichts der gegebenen Phänomene getrieben zu sein, deren Beziehungen erkennen und deren Zusammenhänge verstehen zu wollen, nach Gründen zu suchen, Probleme zu identifizieren, um die eigenen Grenzen zu wissen und Bewältigungsstrategien zu entwerfen, all diese Eigenschaften verbindet jedwedes Ringen um Orientierung, sowohl in den modernen Wissenschaften, als auch in der Philosophie. Allerdings, der latente Selbstzweifel der Philosophie an ihren eigenen (Bedingungen der) Möglichkeiten unterscheidet sie von den positiven Wissenschaften. Und das ist gut so!


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