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Was ist das: Philosophie?

Drei professionelle Philosophen erläutern knapp und bündig welch unterschiedliche Auffassungen von Philosophie es gibt und was Philosophieren für sie ausmacht: Klaus Mainzer, Professor an der TUM und Gründer des Munich Center for Technology in Society (MCTS), stellt unter anderem die Rolle von Philosophie als Grundlagenforschung der Wissenschaft dar. Jörg Wernecke, Dozent für Philosophie am MCTS und Geschäftsleiter der Carl von Linde-Akademie an der TUM, geht auf die Bedeutung von Philosophie als Quelle der Orientierung im menschlichen Leben ein. Ulrich Weiß, Professor für Politische Theorie an der Hochschule für Politik München und Dozent am MCTS, gibt eine Einführung in das Gebiet der politischen Philosophie.

Antwort von PD Dr. Jörg Wernecke

Was denn die Philosophie sei, darüber besteht seit Anbeginn bis heute ein nicht enden wollender Disput. Einer der Begründer der modernen empirischen Psychologie und des philosophischen Pragmatismus, William James, meinte gar, welche Philosophie man wähle, hänge von der persönlichen Vorliebe, der jeweiligen Persönlichkeit ab. Es sei dahingestellt, ob man dieser Charakterisierung folgen mag. Zumindest wird die Philosophie bis heute zuweilen als ein Ärgernis wahrgenommen. Sofern man Platons Ausführungen Glauben schenken darf, hat bereits Sokrates mit seinem beharrlichen Fragen seine Zeitgenossen provoziert. Sich nicht mit voreiligen Antworten zufrieden zu geben, einen angeblichen status quo nicht einfach hinzunehmen, Wissen statt bloßer Meinung einzufordern, Gründe erkennen zu wollen, einer dumpfen Gleichgültigkeit entgegenzutreten und eine gelingende Lebenspraxis zu finden, ist bis heute vielen Bedürfnis und Herausforderung zugleich. Max Horkheimer hat die Situation z. B. wie folgt beschrieben: Philosophie ist der methodische und beharrliche Versuch, Vernunft in die Welt zu bringen; das bedingt ihre prekäre, umstrittene Stellung. Sie ist unbequem, obstinat und zudem ohne unmittelbaren Nutzen, also wirklich eine Quelle des Ärgernisses. (Horkheimer, Max, Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie, S. 286). Nun ja, ob sie ohne unmittelbaren Nutzen sei, auch darüber lässt sich wahrlich (nicht nur) unter Philosophen streiten. Sicher ist, dass sie entscheidend unser Verständnis von Wissen und Wissenschaft geformt und begleitet hat. Sei es die Rolle der Mathematik, die Wahl unserer Erkenntnisinstrumente, die Reichweite unserer Erkenntnismethoden, das Verhältnis von Theorie und Praxis: stets hat sie unsere Orientierungsversuche in der Welt, selbst über die Emanzipationsprozesse moderner Wissenschaften hinaus, entscheidend geprägt. Die Gegenwart hält für die Philosophie nicht weniger Aufgaben bereit angesichts eines technologischen Wandels, der sämtliche Lebensräume durchdringt und verändert. Allen postmodernen Unkenrufen zum Trotz stellt die Moderne mit ihrer tiefgreifenden Dynamik in Wissenschaft und Gesellschaft nach wie vor eine Herausforderung hinsichtlich einer gelingenden Integration dar. Die Moderne hat ihren Preis, deren Lasten oft ungleich verteilt sind: seien es die angesichts einer technologischen Prägung verursachten nichtintendierten Nebenfolgen i. S. von Umweltschäden oder neue Formen der Abhängigkeiten infolge einer globalen Ökonomie, seien es Verunsicherungen des Selbstbildes des Menschen angesichts der zu erwartenden biotechnologischen und informationstechnologischen Möglichkeiten. Es bedarf innovativer Problemlösungsstrategien, die, jenseits wissenschaftlich-technologischer Omnipotenzphantasien oder postmoderner Unverbindlichkeit, in Form eines von Vernunft und Verantwortung getragenen Orientierungswissens eine Verständigung über die ethisch und politisch zu verwirklichenden Ziele herbeiführt und Lösungswege aufzeigt. Mag die Philosophie in ihren Diskursen zuweilen auch sehr theoretisch auftreten, ist ihre eigentliche Ausrichtung genuin praktisch. Entsprechend ist die aristotelische These, wonach die theoria die höchste Form der praxis sei, nur die andere Seite des kantschen Bekenntnisses, wonach die Theorie auf einen Primat des Praktischen verweise: stets geht es um Einsicht, Verstehen, Wissen im Hinblick auf die Bewältigung menschlicher Existenz angesichts einer umgreifenden Kontingenz, die zuweilen auch Agnostiker auf den Plan ruft.

Von Neugierde angesichts der gegebenen Phänomene getrieben zu sein, deren Beziehungen erkennen und deren Zusammenhänge verstehen zu wollen, nach Gründen zu suchen, Probleme zu identifizieren, um die eigenen Grenzen zu wissen und Bewältigungsstrategien zu entwerfen, all diese Eigenschaften verbindet jedwedes Ringen um Orientierung, sowohl in den modernen Wissenschaften, als auch in der Philosophie. Allerdings, der latente Selbstzweifel der Philosophie an ihren eigenen (Bedingungen der) Möglichkeiten unterscheidet sie von den positiven Wissenschaften. Und das ist gut so!

Antwort von Prof. Dr. Ulrich Weiß

Die Frage, was Menschen tun, die „politische Philosophie“ studieren oder sie lehren, lässt sich weder einfach noch umfassend beantworten. Statt dessen einige Hinweise zu einem komplexen Feld.

Beginnen wir mit der stets sich erneuernden Herausforderung für jegliches Philosophieren: mit der Sprache. Was ist „das Politische“ bzw. „die Politik“? Während die deutsche Sprache nur einen einzigen Ausdruck kennt, haben sich im Englischen drei Wörter eingebürgert, deren unterschiedliche semantische Gehalte die begriffliche Breite von „Politik“ darstellen. „Polity“ meint den Ordnungs- und institutionellen Aspekt von Politik; „policy“ meint den inhaltlichen Aspekt: die sogenannten Politikfelder als Sachgebiete politischer Ordnung und Regelung (Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitik, etc.); „politics“ weist auf den Handlungs- und Prozesscharakter von Politik hin, also auf den dynamischen Aspekt. Alle drei Dimensionen sind Gegenstand der empirischen Politikwissenschaft. Deren kategoriales Framework (Grundbegriffe wie Macht, Staat, Herrschaft, Recht, Moral etc.), die logischen, methodologischen, erkenntnistheoretischen, anthropologischen, handlungstheoretischen und systemtheoretischen Grundlagen, aber auch die handlungsleitenden und politikorientierenden Leitideen - all dies ist Angelegenheit politisch-philosophischer Reflexion.

Als akademische Disziplin betrachtet, tritt letztere in zweierlei Gestalt auf, die sich oft in den Benennungen der entsprechenden Professuren zu erkennen gibt. Als Ideengeschichte beschreibt, analysiert und diskutiert die politische Philosophie die Vokabulare, Begrifflichkeiten, Theorien, in denen das Politische im Laufe der Geschichte gedacht wurde. Systematische politische Philosophie hingegen behandelt Themen, Probleme und Argumentationen (Perspektiven und Figurationen der Macht, Herrschaft und ihre Ordnungen, Staatlichkeit und ihr Verhältnis zur Gesellschaft, normative Orientierungen wie Menschenwürde, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Verantwortung etc.) und überdenkt diese mit einem begrifflich-theoretischen und methodischen Instrumentarium. Diese beiden Teilgebiete sind mit guten Gründen analytisch nach Gegenstand und Methoden zu unterscheiden. Kein Zweifel aber, dass beide ineinander spielen, um eine fruchtbare Reflexion und eine wirklich ertragreiche intellektuelle Arbeit zustande zu bringen. Die Ideengeschichte liefert das reiche Reservoir für systematische Untersuchung und Reflexion. Im Beispiel: Um das heute vorrangige Problem der Gerechtigkeit zu diskutieren, ist man gut beraten, zur Kenntnis zu nehmen, was Aristoteles und Thomas von Aquin darüber dachten. Wenn wir auch nicht alles in die Jetztzeit übernehmen können, so werden wir doch immer wieder modellhafte Vorgaben und heuristisch wertvolle Impulse aus der Tradition des politischen Denkens gewinnen. Ideengeschichte kann ihrerseits nur dann fruchtbar betrieben werden, wenn sie ein systematisches begrifflich-theoretisches Arsenal von Methoden und Deutungsmustern einsetzen kann, das sich interdisziplinär aus allen möglichen Repositorien bedient.

Was politische „Ideen“ sind, ist keineswegs klar und eindeutig. Meist sind Begriffe und deren systematische Ordnung in Theorien gemeint. Diese müssen aber keineswegs philosophischer Art sein; sie können auch in Gestalt von politischen Ideologien bzw. Weltanschauungen auftreten (der Kommunismus des 20. Jahrhunderts liefert eines von vielen Beispielen). „Ideen“ müssen aber nicht notwendigerweise Begriffe sein. „Ideen“, das können auch Bilder und Erzählungen sein, welche als symbolische Repräsentanten von politischer Macht und Herrschaft wichtig sind. Politische Mythen (vom Ursprung der Nationen, von der Gründung von Staaten, von geschichtlichen Schlüsselereignissen, von herausragenden Einzelpersönlichkeiten und charismatischen Helden) und ihre praktisch-politischen Funktionen sind ebenfalls „Ideen“, die zu untersuchen sich schon deswegen lohnt, weil sie politisch oftmals wirksamer sind als noch so schöne begriffliche Theorien.

Antwort von Prof. Dr. Klaus Mainzer

Philosophie heißt für mich Grundlagenforschung der Wissenschaft. Es geht dabei um die Grundprinzipien unseres Wissens. Wenn z. B. Informatiker nach den Grundprinzipien der Informatik fragen, geht es letztlich darum, inwieweit Wissen auf Algorithmen zurückführbar ist und damit auf Computern verarbeitet werden kann. Wenn Mathematiker nach den Grundprinzipien der Mathematik fragen, stoßen sie auf Probleme der Logik, des Beweisens und der Algorithmen. Der Mathematiker Hilbert sprach daher von „Metamathematik“ zur Bezeichnung einer logisch-mathematischen Beweistheorie in Anspielung auf die historische Bezeichnung „Metaphysik“.

Aristoteles hat die Fragen nach den Prinzipien der Physik in einem Buch zusammengestellt das „hinter“ (griech. meta) seine Bücher über Physik eingeordnet wurde. Daher bürgerte sich später die Bezeichnung „Metaphysik“ ein. Newton stellte in seinem Hauptwerk bereits im Titel heraus, dass diese Grundprinzipien mathematisch sind: „Principia mathematica philosophiae naturalis“. Newton verstand sich also als Naturphilosoph, wenn auch mit den Methoden der Mathematik, des Experiments und der Beobachtung. Wenn Physiker heute nach den Grundprinzipien der Physik fragen, stoßen Sie auf fundamentale mathematische Grundgesetze und schließlich auf Fragen nach z. B. Kausalität, Raum-Zeit, Symmetrie. Das ist „Metaphysik“ in der Nachfolge von Newtons Naturphilosophie. Ebenso ließe sich am Beispiel von Adam Smith, dem „Newton der Wirtschaftswissenschaften“, zeigen, wie er sich als „Moralphilosoph“ verstand, der die Grundlagen und Prinzipien wirtschaftlichen und ethischen Handelns begründen wollte. Wenn wir heute nach den Grundprinzipien der Ökonomie fragen, stoßen wir auf fundamentale Grundfragen von Marktgesetzen, Institutionen und Handlungsnormen.

In einigen meiner Bücher habe ich gezeigt, dass auch die Lebenswissenschaften und die Gehirnforschung dabei sind, die von ihnen untersuchten Prozesse auf mathematische Grundprinzipien und Algorithmen zurückzuführen. Darauf baut die moderne Robotik und Künstliche Intelligenz-Forschung auf. Seit vielen Jahren war und bin ich in Projekten der Robotik eingebunden, in der letztlich alte erkenntnistheoretische Fragen mit den Methoden der Technik untersucht werden.

Unser Grundgesetz garantiert aus guten historischen Gründen die Freiheit der Wissenschaft. Sie entspricht der wichtigsten Eigenschaft der menschlichen Spezies: Das ist die menschliche Neugierde. In Philosophie und Wissenschaft wurde daraus theoretische Neugierde, die zu Methoden und Problemlösungsverfahren führt. Allerdings sollte unser technisch-wissenschaftliches Wissen eingesetzt werden, um die Lebensbedingungen des Menschen zu verbessern und zu entwickeln. Theoretiker brauchen wenig Geld und Mittel. Aber die Konsequenzen ihrer Theorien können die Welt erschüttern. Sokrates berichtet in Platons Dialog Theaitetos (174a) von Thales von Milet, dem ersten Mathematiker und Philosophen, dass er, während er den Himmel betrachtete und Theorien nachhing, in einen Brunnen fiel. Eine thrakische Magd verspottete ihn daraufhin, dass er nach dem Wissen des Himmels strebe, aber was direkt vor seinen Füßen läge ihm unbekannt bliebe.

Dass wir den Umweg über die Theorie des Himmels, nämlich die Gravitationstheorie Newtons gehen müssen, um den freien Fall von Thales in den Brunnen zu erklären, ist spätestens seit der neuzeitlichen Physik bekannt. Platon erläutert im Anschluss an seine Geschichte, dass die Welt des Theoretikers das allgemeine Gesetz ist, das die konkreten Dinge erst erklärt. Mit Theorie beschäftigen sich per excellence Philosophie und Mathematik. Sie erfinden und entdecken neue Welten und Universen nur kraft logischer Argumente. Sie wagen es sogar, die Existenz der physischen Welt in Frage zu stellen, um die Gründe ihrer Existenz besser zu verstehen: Warum existiert etwas und nicht nichts? Diese vorsokratische Frage aus der Zeit des Thales bewegt auch die moderne Wissenschaft, wenn sie nach Theorien für den Anfang des Universums und unserer Existenz sucht.

Philosophie gilt seit der Antike als Ursprung der Wissenschaften. Sie fragt auch heute noch nach den Prinzipien unseres Wissens, seinen transdisziplinären Zusammenhängen, seinen sozio-kulturellen Bedingungen und ethischen Konsequenzen. In der Fokussierung auf Wissenschaft und Technik vermag die Philosophie heute Kompetenzen für interdisziplinäre Aufgaben zu fördern z. B. die Vermittlung komplexer Zusammenhänge oder die argumentative Begründung kritischer Standpunkte.