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fatum 1 | , S. 70
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Auf Augenhöhe

Das neue Münchner Science Café nimmt Wissenschaftlern und Experten1 die Unantastbarkeit

Jeder Referent hat genau 10 Minuten Zeit. Notfalls werden wir Sie einfach unterbrechen, Paul Zasche erklärt die Spielregeln. Hier soll es anders zugehen, als auf den üblichen akademischen Vorträgen und expertenverehrenden Podiumsdiskussionen. Science Café heißt es zwar, doch im Mittelpunkt steht hier nicht der efeuumrankte Wissenschaftler, der seine Weisheit von der Kanzel predigt. Heute haben auch alle Gäste die Chance, mitzureden.

Zugegeben, beim Betreten des Gastraums des Bürgerheims im Münchner Westend fällt der erste Blick auf so etwas wie eine Kanzel. Mitten im Raum steht eine Bühne, darauf ein Stuhl und ein Tisch, darauf wiederum eine hübsche Blumendekoration und ein knallroter Wecker. So kann der Redner die 10 Minuten im Blick behalten. Aber die Bühne? Eigentlich geht es doch um einen Dialog Auf Augenhöhe? Nun ja, die Organisatoren wollten auf alles vorbereitet sein. Bei einem großen Ansturm hätte man so auch noch von den hintersten Ecken das Gesicht zur Stimme erkannt, die Referenten sollten die Möglichkeit haben, ohne Mikro zu sprechen. Und es geht eben nicht um die Vorträge. Entscheidend ist die Diskussion danach.

Es ist der 24. Juni 2014, kurz nach sieben. Mittlerweile hat sich der Saal gefüllt. Der große Ansturm ist zwar ausgeblieben (dafür waren wohl der unerwartete Sonnenschein und ein folgenreiches sportliches Großereignis verantwortlich), doch etwa 40 diskursfreudige Gäste lauschen nun den einführenden Worten der Moderatoren. Es soll sich doch bitte niemand gehemmt fühlen oder ein Blatt vor den Mund nehmen. Und essen und trinken Sie, da freut sich der Wirt! Wie es der Name ahnen lässt, soll so etwas wie Stammtisch-Atmosphäre herrschen. Neben Science Slams, Fame Labs und Schülerparlamenten gehören Science Cafés zu den modernen Instrumenten der Wissenschaftskommunikation. Es geht darum, einen echten Dialog zwischen Forschern und Bürgern anzustoßen – natürlich kurzfristig in den jeweiligen Veranstaltungen – doch auf lange Sicht könnte sich so ein offener Diskurs über wissenschaftliche und technologiepolitische Themen entwickeln.

Die Bürgerproteste der Anti-Atomkraft-Bewegung waren unter anderen Auslöser dafür, dass in den Achtzigern die Forschung zur Wissenschaftskommunikation konkreter wurde. Es entstand der Begriff Public Understanding of Science. Man ging davon aus, dass man naturwissenschaftliche Erkenntnisse und technische Entwicklungen in der Öffentlichkeit nur möglichst gut erklären brauche. Die wissenschaftlich beste Lösung müsse für alle nachvollziehbar sein. Dann würde die Gesellschaft sie bestimmt von ganz allein akzeptieren. Doch die Bürgerbewegungen gingen weiter, wenn auch in unterschiedlich großem Ausmaß. Besonders die Energiepolitik und große Infrastrukturprojekte werden bis heute von Protesten und Montags-Demos heimgesucht. Und auch der verständlichste Artikel über weiße Gentechnik in der Wissenschaftsbeilage ruft nicht gleich ein Höchstmaß an Akzeptanz hervor.

Es ist ein beinahe paradoxes Phänomen. Unsere Gesellschaft ist auf Wissenschaftlichkeit ausgerichtet, in der Werbung bedeutet „wissenschaftlich getestet“ dasselbe wie „absolut vertrauenswürdig“. Dadurch ist die Wissenschaft für viele fast undurchdringbar geworden und zu so etwas wie einer politischen Instanz. Irgendwo in diesem System Wissenschaft wird nun ständig unser Leben verändert durch Technologien, deren Namen mit Gen-, Nano- oder anderen Präfixen beginnen. Das kann statt zu Akzeptanz schnell zu Ängsten, Misstrauen und Ablehnung führen. Gerade heute wird so viel über direkte Demokratie diskutiert, wie lange nicht mehr. Da ist es nicht mehr zeitgemäß, mündige Bürger im Nachhinein über Entwicklungen zu informieren, die sie direkt betreffen, auch wenn diese Informationen noch so genau, logisch und methodisch korrekt sind. Es geht darum, Vertrauen in die neuen Technologien aufzubauen und Ängste zu nehmen, egal ob diese begründet sind oder nicht. Aus diesem Grund feilt die Wissenschaftskommunikation seit einigen Jahren an Formaten, die die Menschen frühzeitig und ständig in Forschungsfragen miteinbeziehen könnten. Vielleicht sind Science Cafés sogar als ein Stück echte Demokratie zu verstehen.

Eine Demokratie ist nun mitunter definiert durch die Grundrechte, die ihre Mitglieder genießen. Es war also bestimmt kein Zufall, dass für das Thema der ersten Veranstaltung die Wahl auf den Datenschutz fiel. Denn eine philosophische Debatte um Privatsphäre und Staatsinteresse umrankt die neuen sozialen Medien, ebenso wie die immer dichtere Vernetzung aller Lebensbereiche und Phänomene wie Big Data. Und immer neue Schreckensnachrichten über die Methoden von Geheimdiensten lassen befürchten, dass die eigenen Daten keineswegs geschützt sind.

Vier Referenten haben dieses Mal die Diskussion Auf Augenhöhe ins Rollen gebracht und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Marie-Theres Tinnefeld ist Professorin an der Hochschule München und hat bereits mehrere Bücher über Datenschutz veröffentlicht, Tom Kittel forscht am Lehrstuhl für IT-Security der TUM. Florian Ritter ist stellvertretender Vorsitzender der Datenschutzkommission des Bayrischen Landtags und Sebastian Kraska berät Firmen zum Thema am Institut für IT-Recht. Nacheinander betreten sie nun die Bühne und alle halten die 10-Minuten-Regel überraschend gut ein. Ihre Ansichten sind durchaus unterschiedlich, aber eines ist klar: Jeder Bürger hat das Recht auf Privatsphäre. Es sei nicht zu vermeiden, dass auch in Zukunft immer mehr Daten anfallen werden, doch ein verantwortungsvoller Umgang damit sei dringend zu fordern, vom Staat wie auch vom Einzelnen. Im Anschluss gibt es keine Podiumsdikussion und das war durchaus beabsichtigt. Damit die Eindrücke und Fragen frisch bleiben, nehmen die vier Redner direkt an den vier großen Tischen Platz, von denen aus die Gäste zuvor ihren Impulsvorträgen zugehört haben. Die Stimmung ist gut, eben wie in einem Wirtshaus. Es entstehen mehrere lockere Gesprächsrunden, einige mit, andere ohne einen Referenten. Alle beschäftigen sich irgendwie mit dem Thema Datenschutz, ob philosophisch, politisch oder auch sehr praktisch mit Fragen zu E-Mail-Verschlüsselung und Browsertracking.

Etwa um halb zehn löst sich die Veranstaltung dann langsam auf. Es sieht aus, als hätten die Gäste Spaß gehabt. Einige Fragen konnten geklärt werden, viele neue sind dazugekommen. Einzelne sind noch mitten in der Diskussion und bleiben sitzen. Die Referenten verlassen das Bürgerheim zufrieden und mit neuen Anregungen. Die positive Kritik hat auch das Augenhöhe-Team angeregt, noch besser zu werden. Die nächsten Science Cafés stehen bereits in den Startlöchern. Nähere Informationen unter www.science-cafe-muenchen.de.


  1. Experten sind nach Definition Sachkundige. Doch der Begriff hat einen schlechten Beigeschmack und wird viel zu oft gebraucht. Das Wort wurde über die ganze Veranstaltung hinweg bewusst vermieden. Jemand, der im Wirtshaus über seine Arbeit und Forschung spricht, hat einen schöneren Begriff verdient.