Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Logik, Moral und Welten
fatum 2 | , S. 9
Inhalt

Was ist das: Logik, Moral und Welten?

Zu Welten

Die Untersuchung der Welt steht am Beginn der Philosophie, ist doch die Frage nach den Prinzipien der Welt als Inbegriff alles Seienden das beherrschende Thema der vorsokratischen Naturphilosophie. Die Welt ist das All (πᾶν/pan), in dem sich Werden und Vergehen vollziehen und das deshalb als Natur (φύσις/physis) aufgefasst werden kann. Gerade in den Bewegungen der Himmelskörper, der Drehung der das All begrenzenden Fixsternsphäre und den Bewegungen der Planeten, zeigt sich eine schöne Ordnung (κόσμος/Kosmos). Mit Platon stellt sich der Mensch im Horizont des von Gott, d. h. der Idee des Guten, durchdrungenen Alls die Frage nach dem guten Leben.

Mit der christlichen Theologie wird das Göttliche aus der Welt abgezogen und in einen transzendenten Bereich versetzt. Gott steht als Schöpfer der Welt gegenüber, welche als seine Schöpfung verstanden wird. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts unterscheidet R. Descartes auf seiner Suche nach einem unerschütterlichen Fundament (fundamentum inconcussum) der menschlichen Erkenntnis strikt das menschliche Bewusstsein von der „Außenwelt“. Das Bewusstsein als denkende Substanz (res cogitans) tritt der ausgedehnten Substanz (res extensa) gegenüber. Die entgöttlichte und bewusstlose Außenwelt lässt sich mit den Mitteln der Mathematik untersuchen, sie ist die Objektsphäre der Naturwissenschaft. Damit ist das All der griechischen Antike in die Sphären Gott, Mensch (Bewusstsein, Geist, Seele) und Welt auseinandergefallen.

I. Kants gesamte kritische Philosophie ist ein Versuch, Gott, Mensch und Welt wieder als Einheit zu denken. Dabei wird die Welt zu einer Vernunftidee, d. h. sie ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung, wenngleich wir alle unsere objektiven Erkenntnisse auf diese Idee hin ordnen. Deshalb, so Kant in der ersten kosmologischen Antinomie, lässt sich z. B. die Frage, ob die Welt einen Anfang hatte oder schon seit jeher besteht, naturwissenschaftlich nicht beantworten. Die Idee der Welt leitet uns zur Einheit unserer Erkenntnisse der Naturwissenschaft.

Wir Menschen finden uns aber nicht nur als Erkennende in der Welt vor, sondern vor allem als Handelnde. Moral ist nach Kant nur möglich, wenn wir Menschen uns auch anders als vollständig durch Naturgesetze determiniert verstehen können. Die naturwissenschaftliche Seite des Menschen gehört zum Bereich der Erscheinungen, der Sinnenwelt (mundus sensibilis). Die Freiheit eröffnet uns den Bereich der moralischen Welt, der Verstandeswelt (mundus intelligibilis).

Bei F. Nietzsche taucht erstmals der Begriff der Weltgeschichte auf, der im Rahmen der kosmologischen Modelle, insbesondere der Urknalltheorie, in der heutigen Physik aufgegriffen wird und in einer eigentümlichen Spannung zu den universellen Naturgesetzen steht. Im Zuge der aufkommenden Metaphysikkritik bestimmt L. Wittgenstein die Welt als „alles, was der Fall ist“, d. h. als „Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“. Empirische Tatsachen und Logik werden zu den einzig legitimen Mitteln einer möglichen Erkenntnis der Welt. Dabei bedeuten nach Wittgenstein die „Grenzen meiner Sprache […] die Grenzen meiner Welt“.

Der Plural Welten war schon bei den antiken Atomisten Leukipp und Demokrit in Gebrauch, spekulierten sie doch über deren Vielzahl. Im Sinne von ähnlichen Systemen, die in ein Größeres eingebettet sind, tritt der Begriff „Milchstraßen“ beim frühen Kant auf, womit er die spätere Erkenntnis der Galaxien vorwegnimmt. Mit Leibnizʼ Behauptung zur Verteidigung Gottes angesichts der Übel in der Welt, Gott habe die „beste aller Welten“ geschaffen, beginnt eine Tradition, die den Plural nicht unbedingt auf eine tatsächliche Realisierung eines umfassenden physikalischen Systems bezieht, sondern ein denkmögliches, in sich logisch widerspruchsfreies Konstrukt darunter versteht. Hieran knüpft u.a. im Rahmen der Modallogik bei S. Kripke die Sprechweise von „möglichen Welten“ an. In der heutigen Physik wird in der Quantentheorie von der Vielwelteninterpretation und in der Kosmologie von Multiversen als vielen Welten gesprochen.

Bereits diese wenigen Andeutungen zur Geschichte des Begriffs Welt(en) lassen die Implikationen erahnen, die sich im jeweiligen Verständnis dieses Begriffs verbergen. Diese Implikationen ans Licht zu heben und transparent zu machen, ist die Aufgabe der Philosophie, wenn sie ihrem Selbstverständnis, die Stellung des Menschen in der Welt zu bestimmen, gerecht werden will. Eine tiefer gehende Analyse der philosophiegeschichtlichen Transformationen des Begriffs Welt(en) ist zur Erfüllung dieses Anspruchs unabdingbar.


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Kommentar 1

Thomas Wäscher

Ergänzung zu den Griechen und zum heutigen Weltverständnis

 

Vor Platon (428–348 v. Chr.) philosophierte ja schon Heraklit aus Ephesus (~540–480 v. Chr.) mit der Erkenntnis "Alles fließt" und dem Weltverständnis "Diese Weltordnung kosmos, dieselbige für alle Wesen, hat kein Gott und kein Mensch geschaffen, sondern sie war immerdar und ist und wird sein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend"

Diesem eigentlich befriedigenden Weltbild, das, so vermute ich, auch Einstein in seinem ersten Entwurf des endlichen und geschlossenen, aber grenzenlosen Universums vor Augen hatte, steht heute das Weltbild der Standardkosmologie entgegen: Aus dem Messbefund der Rotverschiebung und der hieraus schwerlich zu widerlegenden Interpretation der Expansion wurde ein Urknallmodell „erfunden“, das dem „gesunden Menschenverstand“ erhebliche Zumutungen auferlegt:

-  in einer Singularität (zufällige Quantenfluktuation) soll Zeit und Raum vor ca. 13,7 Milliarden Jahren entstanden sein

- die heutige Homogenität ist nur mit einer hochspekulativen Einführung einer „Inflation" unter Missachtung des Energieerhaltungssatzes sowie der Grenzgeschwindigkeit c erklärbar

- mit der Annahme, die Expansion sei die eigentliche Dynamik des Universums, wird ein allg. gravitativer Untergrund wegtransformiert mit dem Ergebnis, dass das Universum heute als euklidisch „flach“ betrachtet wird. Damit müssen aber die deutlich vorhandenen gravitativen Wechselwirkungen mit der Einführung einer zusätzlichen „Dunklen Materie“ erklärtwerden – diese ist aber bis heute trotz erheblicher Anstrengungen nicht gefunden.

Was impliziert dies? Das heutige Weltbild ist höchst unbefriedigend und es erstaunt, dass die zeitgenössische Philosophie dies (offiziell) kaum kritisiert, sondern schlicht die „Transformationen des  Begriffs Welt(en)“ „tiefer gehend“ analysieren will. Meiner Meinung nach ist aber eine verbindliche Stellungnahme der Philosophie zu den Ungereimtheiten unseres heutigen Weltmodells geboten und längst überfällig.

 

Mit freundlichen Grüssen

Thomas Wäscher

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