Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Logik, Moral und Welten
fatum 2 | , S. 60
Inhalt

Auf(zug) ins All

Die Studenten der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (WARR) an der TU München entwickeln die Technik für die Raumfahrt von heute und morgen. Angefangen bei konventioneller Raketen- und Satellitentechnik bis hin zu Systemen für interstellare Raumflüge und Weltraumaufzüge deckt die WARR ein breites Spektrum an Raumfahrtechnik ab.

2050 soll es laut der NASA soweit sein. Innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte werden sich nach Einschätzung der amerikanischen Raumfahrtbehörde die technischen Probleme lösen lassen, die einem Aufzug ins Weltall heute im Wege stehen. Die Idee ist so einfach wie bestechend. Zwischen der Erde und einem geostationären Satelliten soll ein Seil gespannt werden. Entlang dieses Seils könnte sich dann ein Aufzug von der Erdoberfläche ins Weltall ziehen und damit eine Vielzahl an Möglichkeiten eröffnen, angefangen beim Weltraumtourismus bis hin zum Space Mining (der Förderung von Ressourcen im Weltall). Teure Starts von Raketen aus dem Schwerefeld der Erde würden der Geschichte angehören. Material und Menschen könnten mit einem Aufzug in geostationäre Höhe gebracht werden und von dort – bereits mit orbitaler Geschwindigkeit – ihre Mission starten. Soweit die vielversprechende Theorie. Aktuell weiß aber noch niemand welches Seil nicht durch sein Eigengewicht reißen würde, wenn man es über eine mehr als 36.000 Kilometer lange Strecke vom Erdboden ins Weltall spannen würde.

Zu einem konkreten Datum möchte sich Martin Losekamm, Projektleiter bei der WARR, daher auch nicht hinreißen lassen, aber sollte sich ein Durchbruch in der Materialwissenschaft für die Seilentwicklung ergeben, so ist sich Losekamm sicher, dann wird der Weltraumaufzug kommen. Der Aufzug, der es anschließend schaffen soll sich selbst in einer Geschwindigkeit längs eines senkrechten Seils nach oben zu ziehen um in vertretbarer Zeit ins Weltall zu gelangen, den gibt es schon. Zumindest in einer prototypischen Variante. Die Studenten und Wissenschaftler der WARR gehören auf diesem Gebiet zur europäischen Spitzengruppe. International haben sich ihre Konstruktionsansätze in den Punkten Gehäuse und Energieversorgung bewährt. 2010 gewann das Space Elevator Team der WARR in Tokio den „Japan Space Elevator Technical & Engineering Competition“ Wettbewerb.

Auch wenn es heute noch etwas abenteuerlich anmutet, dass es einmal wirtschaftlich vorteilhaft sein wird seltene Erden, welche beispielsweise für die Elektronikindustrie unentbehrlich sind, im Weltall abzubauen, so ist bereits jetzt zu beobachten welche Anstrengungen seitens der Industrie unternommen werden, um alternative Materialquellen zu erschließen. Schon heute beginnen Minengesellschaften mit dem sogenannten Tiefseebergbau. Unter Zuhilfenahme von Spezialrobotern, welche dem enormen Druck in vielen tausend Metern Tiefe aushalten, wird die Meeresoberfläche eingeebnet, aufgelockert und zur Filterung an die Erdoberfläche transportiert. Damit können Gold, Silber und seltene Metalle wie Lanthan und Kobalt gefördert werden.

Diese Aktivitäten zeigen welche Bereitschaft in der Industrie vorhanden ist den Hunger nach seltenen Erden, deren verbleibende Vorkommen auf der Erdoberfläche sehr ungleich verteilt sind, zu stillen.

First-MOVE CubeSat
First-MOVE CubeSat (2013 gestartet). Foto: WARR

Die WARR hat neben diesen futuristisch anmutenden Themen auch schon eine lange und erfolgreiche Vergangenheit als Kompetenzcluster im Bereich Raketentechnik vorzuweisen. So hat die WARR in den 70er Jahren die erste deutsche Hybridrakete entwickelt. Die Rakete namens Barbarella ist mittlerweile im deutschen Museum ausgestellt. Auch heute befasst sich eine Gruppe der WARR mit der Weiterentwicklung von Hybridantrieben mit neuen Stoffzusammensetzungen. Mitte Mai wurde eine Rakete der neuen Generation, die WARR-Ex 2, welche mit einem Gemisch aus Lachgas und Butadien-Kautschuk (im normalen Alltag begegnet einem dieser Stoff in Reifen) angetrieben wird, in Brasilien gestartet.

Eine weitere Gruppe innerhalb der WARR beschäftigt sich mit Satellitentechnik. Momentan bauen sie einen 10 cm × 10 cm × 20 cm großen CubeSat. Der Satellit soll mit einem Instrument ausgestattet werden, welches den Fluss von Antiprotonen in den oberen Schichten der Erdatmosphäre erfasst. Diese Messergebnisse stellen wertvolle Daten für die Kollegen der Physikfakultät dar. Dieses Beispiel zeigt auch, wie die Welten der Ingenieurskunst und der Naturwissenschaft ineinandergreifen. Die Raketen- und Satellitentechnik hätten sich ohne die vorgegangene Erkenntnisse der Physik und Chemie nicht entwickeln können. Andererseits ermöglicht der technologische Fortschritt den Naturwissenschaftlern Experimente und Messungen durchzuführen, welche ihnen wiederum bei der Grundlagenforschung helfen.

Die Bereiche Raketen- und Raumfahrttechnik lösen bei den meisten zweierlei Gefühle aus. Zum einen ist da die Begeisterung und Faszination, dass es möglich ist Menschen ins All zu schießen, auf dem Mond spazieren zu lassen und ferngesteuerte Roboter Gesteinsproben auf Planeten entnehmen zu lassen. Zum anderen drängt sich für manche die Frage auf, ob der ganze Aufwand gerechtfertigt ist. Man hört abends im Fernsehen ab und an von einem Fehlstart oder von irgendwelchen Gesteinsproben, die auf dem Mars genommen wurden. Danach ist das Thema in der Regel wieder schnell von der medialen Bildfläche verschwunden. Ein bleibender Eindruck, dass es ohne solche Experimente nicht geht, setzt sich somit nicht im Kollektivgedächtnis der Gesellschaft fest. Zugespitzt steht hier etwas im Raum was man als Theodizee der Wissenschaft bezeichnen könnte. Warum soll es angesichts der Leiden auf der Welt etwas scheinbar so Dekadentes wie Experimente im Weltall geben? Darf es, solange es einen Hungergürtel um den Äquator gibt, Weltraumexpeditionen geben?

Dieser Vorwurf hat, bei all seiner populistischen Darstellung und Verkürzung, doch einen gefühlten wahren Kern von dem man sich moralisch herausgefordert fühlt. Zuallererst könnte man einwenden, dass die wenigsten Dinge welche die Wirtschaft produziert irgendeinen nennenswerten Beitrag zur Eindämmung der Probleme jener Art sind. Man könnte immer weiter fragen warum im Profisport Millionen über Tisch gehen, oder jede Stadt die etwas auf sich hält ihr Geld für teure Konzertsäle ausgibt. Man merkt recht schnell wenn man diesen Gedanken weiterführt, dass es sich also mit der Raumfahrt aus moralischer Sicht nicht anders verhält wie mit fast allen anderen Anstrengungen, die die Industrienationen unternehmen. Für die Industrie- und Schwellenländer leistet die Raumfahrt sogar einen sehr wertvollen Beitrag, denn ohne Raketentechnik und Satelliten wären Kommunikationstechnik, Navigation, Wettervorhersagen und sogar Fernsehen wie wir es heute kennen nicht denkbar.

Man muss jedoch eigentlich nicht nach einer Begründung durch Nutzen und Verwertbarkeit suchen. Mit der Forschung verhält es sich in besonders schillernden Bereichen wie der Raumfahrt, wie mit der Kunst. Sie braucht keine Begründung von außerhalb, sie stiftet sich aus sich selbst heraus Sinn, weil Erkenntnis und das Überwinden von technischen Grenzen in sich einen Wert darstellen. Die Menschheit hinterlässt mit ihren Erfolgen der Wissenschaft in der Welt einen bleibenden Eindruck. Die Fußspuren, welche Astronauten auf dem Mond hinterlassen haben, bleiben dort aufgrund der Abwesenheit von Verwitterung für schier ewig erhalten. Auch wenn es, was wahrscheinlich ist, mit der Spezies Mensch irgendwann einmal vorbei ist, bleiben diese Spuren bestehen und sind Zeuge unserer Geschichte.


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