- Deckblatt
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Editorial
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Was ist das: Intelligenz, Formen und Künste?
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Praefrontal
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Vorhang auf!
beleuchtet Aristoteles’ Mimesis und unsere Lust an Kino und Theater -
Künstliche Kreativität
diskutiert unser Verhältnis zu Computerprogrammen, die Neues schaffen -
Die Formlosigkeit der Selbstverständlichkeit
legt dar, weshalb wir das vermeintlich Selbstverständliche nicht identifizieren können
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Vorhang auf!
- Internationale Perspektiven
- Vom Wesen der Dinge
- In die Werkstatt
- Die Maschine
- Literatur
- Neue Wege
Planen versus Machen?
Wie MakerSpace Planer und Macher zusammenbringt
Geschrieben steht:
Im Anfang war das Wort!
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
– Johann Wolfgang Goethe, Faust: Eine Tragödie
Am Anfang war das Wort!
Schon falsch. Am Anfang war die Tat!
Besser, aber auch falsch. Überhaupt, was heißt hier Anfang
? Geht es um Jesus und seinen „Bestseller“? Die Spezies Mensch gibt es schon viel länger. Oder geht es gar nicht um den Anfang?
Irgendwann gab es eine Idee? Vielleicht. Verlässt man für einen Moment die Gott-Bibel-Anfang-Gedankenwelt und schaut sich das Ende an – also das Jetzt, Hier und Heute – trifft man auf Veränderung und Wandel.
Man braucht sich ja nur überlegen: Maria und Joseph hatten kein Navi für den Weg nach Bethlehem. Es hat sich viel getan seitdem – und ein Verdacht packt uns: Es geht gar nicht um Anfang oder Ende. Es geht um den Weg von A nach B. Der Weg ist möglicherweise das Entscheidende, das Ziel.
Wie entstehen Veränderungen? Jeder Wandel – sei es die Erfindung des Rades oder die Einführung der Benzinsteuer – beginnt mit einer kleinen Idee. Erst zögerlich vielleicht und plötzlich ist das Auto Statussymbol und ohne Benzinsteuer wäre unser Rentensystem schon insolvent.
Was treibt nun Veränderung? Wie kommt das Neue in die Welt? Wie nähert man sich der Welt? Nicht nur Philosophen haben versucht die Welt zu interpretieren (oder zu verändern). Wirtschaftswissenschaftler haben schöpferische Zerstörung als Grund für Innovation ausgemacht und Biologen die Evolution. Wahrscheinlich hat jede Fakultät ihre eigene Sicht der Dinge. Es geht auch gar nicht darum, diese zu hinterfragen oder zu diskutieren. Es geht um viel Grundsätzlicheres. Es sind die Grundbausteine der Veränderung: Wort und Tat.
Das Wort steht stellvertretend für das Wissen, den Geist – oder eben den Plan. Die Tat steht für jede Art von Handlung. Die Protagonisten sind dann die Denker oder Planer und die Macher. Lässt man sich auf diese Vereinfachung ein und teilt die Gestalter grob in die zwei Fraktionen der Planer und der Macher, ergeben sich frische Erklärungsansätze, wie das Neue in die Welt kommt und warum sie so ist wie sie ist.
Von Planern und Machern
Beide Fraktionen mögen sich nicht. Die gegenseitige Verachtung pendelt zwischen Ignoranz und Wut. Ob man Planer oder Macher ist, hängt wohl von der eigenen Sicht auf die Welt und den Möglichkeiten der Gestaltung ab. In jedem von uns steckt sicher eine Mischung der beiden Idealtypen, die dann zu gegebener Zeit und in passenden Situationen das fiese Antlitz der einen oder anderen Seite zeigen.
Die Planer: Im Anflug von Überheblichkeit entwerfen sie die Zukunft am Reißbrett. Die Romanfigur des frühen Homo Faber könnte hier das Vorbild sein: Das Weltbild ist im Wesentlichen streng rational, deterministisch und eventuellen Abweichungen muss man entschieden mit noch mehr und noch besserem Instrumentarium entgegentreten. Der Plan selber wird nicht in Zweifel gezogen, höchstens die Präzision des Planungsvorgangs und damit das Planungswerkzeug.
Dietrich Dörner hat im Buch „Die Logik des Misslingens“ beide Gegenspieler wie folgt charakterisiert: In den Planern sieht er die Figur des Rumpelstilzchens.1 Mit Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich mir der Königin ihr Kind.
gibt es quasi die Urform des Plans. Seit Kindertagen wissen wir, dass die Sache mit dem Kind schiefging. Seit dem hat sich an dem Gefühl, dass Pläne selten so funktionieren wie ursprünglich geplant, kaum etwas geändert. Im Gegenteil, immer wieder aufs Neue wird der Befund bestätigt.* Jeder Student kennt die Diskrepanz zwischen seiner inneren Uhr und der Abgabefrist. Ein prominentes Beispiel für eine Planungskatastrophe ist der Berliner Flughafen. Aber auch jedes Datenleck zeugt von Planungsschwäche. Ganz aktuell: Offshore-Konten in Panama als größtes anzunehmendes Planungsdilemma. Hobby-Philosoph Mike Tyson formulierte es so: Jeder hat einen Plan, bis er was auf die Fresse bekommt.
Die Zunft der Planer schreckt das jedoch alles nicht. Die größten Feinde des Masterminds sind Zweifel, Überraschungen, Zufälle, Abhängigkeiten und Vielfalt. Die gilt es entschieden zu bekämpfen.
Die Macher**: Sie lieben die Aktion und das Experiment. Einfach mal probieren. Auch hier hat Dörner ein Beispiel: Napoleon. Er war wohl ein Mann der Tat. Seine Devise: On s’engage et puis on voit.
(Man fängt einfach mal an und dann sieht man schon.) Ein typischer Planer bekommt bei solchen Aussagen Schnappatmung und ist sich sicher, dass alles im Chaos enden wird. Er hält die Macher für Frickler und Wurstler. Der typische Macher hingegen weiß, dass in den meisten Situationen der Plan eine Illusion ist, da schon nach kurzer Zeit die Annahmen hinfällig sind. Helmuth von Moltke formulierte es treffend: Kein Plan überlebt die erste Feindberührung.
Das Interessante ist nun: Beide Parteien brauchen sich. Macher ohne Plan enden im Chaos. Planer ohne Handlung enden im Stillstand. Aber wie bringt man die Akteure zusammen? Dazu schauen wir uns nachfolgend typische Habitate der beiden Akteure an.
Unternehmen (Rumpelstilzchen-Welt)
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass in irgendeinem Unternehmen die Chefs verpflichtet sind, einmal im Monat „vor Ort“ zu arbeiten. Also so richtig mit Kunden ins Gespräch kommen. Ist das genial? Man erkennt schon an der Diskussion die fein säuberliche Trennung zwischen der hochwertigen Arbeit der Chefs (was auch immer die sonst machen, wurde nicht weiter ausgeführt) und der „normalen“ Routinearbeit. Zum anderen waren alle Parteien wenig euphorisch über den Wechsel, alle Akteure wollten eigentlich ihre gewohnte Arbeit machen – ohne irgendwelche Unterbrechungen, Störungen oder Irritationen.
Der Punkt, den ich damals so bemerkenswert fand war, dass die einen, die sich sonst Vorschriften, Anweisungen, Prozesse und Strukturen ausdenken, nun mit dem Ergebnis ihrer Arbeit konfrontiert werden. Das ist eigentlich eine kleine Sensation und mich wundert es heute noch, dass dieses Experiment so wenig Beachtung fand.
Da ist doch Potential! Politiker sollten mal einen Tag als freiwilliger Helfer eine Flüchtlingsunterkunft unterstützen und Rettungssanitäter gehören natürlich im Gegenzug mal ins Kanzleramt. Wenn Deutsche Post-Vorstände mal für einige Zeit Briefe austragen und mit dem gelben Post-Fahrrad durch Düsseldorfer Vororte radeln, bekommen sie doch sicher ganz neue Einblicke und Perspektiven vom Briefgeschäft und dazu noch ein Verständnis für die Arbeit der Postboten.
Die Gedankenspiele zeigen, dass das Planen in der Regel mit oben – also in einer gedachten Hierarchie in Richtung Pyramidenspitze – assoziiert ist und das Tun dagegen mit unten. Das hat fatale Folgen: Die Bilderbuch-Karriere verläuft von unten nach oben, also vom Handeln zum Planen – also übersetzt, man tut immer weniger und plant immer mehr. Wer denkt sich so einen Unsinn aus? In den Top-Management-Etagen, so kann man vermuten, hat kaum noch jemand eine Vorstellung vom Tagesgeschäft.
Seit Taylor 1911 versucht hat, die Prinzipien des Managements wissenschaftlich zu begründen, werden Planung und Handlung in Unternehmen getrennt2. Das Management denkt sich tolle Sachen aus und steuert das Ganze, die Organisation setzt dann um. Soweit die Vorstellung. Das wirklich Interessante daran ist: An diesem Prinzip hat sich seit über hundert Jahren kaum etwas geändert.

Foto: Inga Bachmann
Spinnt man den Gedanken weiter, kann man schlussfolgern, dass in Konzernzentralen viel gedacht, geplant und entschieden wird – aber ohne Bezug und Kenntnis zum Geschäft.
Das wiederum kennt man bereits von der Planwirtschaft. Dort stand auch der Plan im Mittelpunkt. Der war so heilig, dass man selbst die Mangelwirtschaft in Kauf nahm.
Trotz der unisono vorgetragenen Verachtung gegenüber der Planwirtschaft und dem Stolz über die Marktwirtschaft, agieren Organisationen exakt wie in der Planwirtschaft. Ich habe sowohl die Planwirtschaft in der DDR erlebt, als auch Siemens als große Organisation kennengelernt. Die Parallelen haben mich immer fasziniert. In beiden Fällen wurde jeweils der Erfahrung und der Kenntnis vor Ort misstraut und selbst Details, die man in einer Zentrale niemals absehen kann, wurden beplant und gesteuert. Die Anweisungen aus der Zentrale sind heilig.
Man ist so verliebt in den Plan, dass die Umsetzung schon fast egal wird. Normalerweise gibt es ja immer die Option, dass ein Plan umgesetzt wird. Vollblut-Planer sehen das anders. Der Plan an sich ist doch schon das Ergebnis. Störende Details und der Eifer der Umsetzung schadet jedem Plan.
Organisationen produzieren immer mehr Rumpelstilzchen und die kreiseln bevorzugt um sich selbst! Da braucht es keinen Kunden, keinen Markt und Wettbewerb stört auch bloß.
Wenn dann mal einer was macht (handelt), heißt es gleich: Wir sind agile!
. Das ist lächerlich.
MakerSpace (Welt der Napoleons)
Seit kurzem gibt es in Garching einen ganz besonderen Ort. Er nennt sich MakerSpace und obwohl er gefühlt kurz vor Berlin liegt, pilgert so manch verwöhnter Münchner gerne zum Ort der „Macher“. Man kann es sich am einfachsten als eine Art Werkstatt mit zahlreichen Maschinen für Holz- oder Metallbearbeitung und natürlich 3D-Druckern vorstellen. Ob Student, Künstler oder CEO, jeder kann Mitglied werden und alle Maschinen und Angebote zur Verwirklichung eigener Projekte nutzen. Es ist ein Paradies für Bastler und in dieser Form die erste Einrichtung in Deutschland. Das Machen steht im Vordergrund – über Pläne redet hier kaum jemand.
Wie so oft bei solchen Ideen, begann es in den USA und ist dort inzwischen eine richtige Bewegung. Chris Anderson hat mit seinem Buch: „Makers. Das Internet der Dinge: Die nächste industrielle Revolution“3 sicher zur Popularität beigetragen. Die Einstiegshürden ins Machen sind deutlich gesunken. Niemand braucht mehr seine eigene Hobbywerkstatt. Mit dem Geschäftsmodell der MakerSpaces (in den USA TechShops genannt) kann jeder seine Ideen umsetzen. Manche sehen die Bewegung auch als Trotz- und Gegenreaktion zur Massenproduktion. Individualität und Selbstwirksamkeit statt Einheitsbrei und Konsum. Grobe Heimwerker-Mentalität und Pioniergeist ergeben eine unbeschreiblich vitale, flirrende Atmosphäre. Kein Wunder, dass sich die Zahl der weltweiten zur Verfügung stehenden MakerSpaces rasant entwickelt.
Nun gehört die Prototypenwerkstatt MakerSpace zu UnternehmerTUM, dem Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München, und das irritiert zunächst. Universitäten, bisher bekannt als theoretische Lehranstalten, werden im Allgemeinen nicht als Hort für Praktiker angesehen. Was ist der Hintergrund? Soll hier Garagen-Flair nach dem Vorbild des Silicon-Valley etabliert werden? Oder woher kommt die Lust auf die Annäherung, wo doch über Jahrzehnte eine saubere Abgrenzung gelang und beide Lager eine gesunde Abneigung pflegten?4
Es sieht so aus, als ob sich Planer und Macher, ob bewusst oder unbewusst, wieder annähern. Die Zeit ist reif, denn schon vor über 50 Jahren hat sich C.P. Snow in einem Beitrag über die Arroganz der Naturwissenschaften gegenüber den Geisteswissenschaften (und vice-versa) ausgelassen.5 Gemeinsam hätte man die Probleme der Zeit lösen können, aber man verliert sich lieber in Kindergartenkram und Eitelkeiten – so der Vorwurf Snows. Auch Planer und Macher könnten gemeinsam sicher mehr bewegen – was fehlt ist wohl ein Übersetzer.
Braucht man überhaupt einen Plan?
Es gibt Entwicklungen, die laufen ganz ohne Plan. Die Evolution ist beispielsweise ein recht erfolgreicher Innovationsmotor. Darwin formulierte, dass die Artenvielfalt nicht das Ergebnis eines Schöpfers ist, sondern durch das Phänomen der Abstammung und Vererbung über Jahrmillionen entstand. Der zugrunde liegende Mechanismus der Mutation ist im Kern ein zufallsgesteuertes Losverfahren. Hier wird quasi „ausgewürfelt“, welches genetische Material von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben wird. Über die natürliche Auslese in Form von Selektion und Stabilisierung wird gesteuert, ob sich Neuerungen bewähren oder wieder verworfen werden.
Trotz kontroverser Diskussionen in Detailfragen ist die Evolutionstheorie inzwischen als Erklärung des Lebens auf der Erde anerkannt und die am besten erforschte wissenschaftliche Theorie. Sie besagt im Wesentlichen, dass Lebewesen unterschiedlich gut an ihre Umwelt angepasst sind. Durch den ständigen Wettbewerb um Futter, Brutplätze, Reviere und Lebensbedingungen streben sie immer nach optimaler Anpassung und befinden sich somit in einem kontinuierlichen Veränderungs- und Adaptionsprozess. Die Weiterentwicklung beruht auf dem Zusammenspiel von Evolutionsfaktoren wie beispielsweise Mutation, Rekombination, Selektion, Isolation oder Gendrift. Neue Kombinationen von Genen entstehen während der Fortpflanzungsphase. Sie sorgen zunächst für eine große Variation im Genpool. Durch die neuen Genmutationen werden Möglichkeiten der Erneuerung erzeugt. Welche der Neuerungen sich dauerhaft etablieren können, hängt von der Adaption an die Umwelt ab. Im Wettbewerb setzen sich die am besten an die Bedingungen angepassten Arten durch.
Das Verblüffende ist nun, dass es in der Natur keinen Masterplan und keine Strategie für die Entwicklung der Populationen gibt. Kein noch so genialer Planer hätte das mit dem aufrechten Gang beim Menschen hinbekommen (und wir würden noch auf Bäumen herumturnen). Instinkt und Überlebenstrieb des Individuums und der Mechanismus der Evolution funktionieren seit Jahrmillionen recht effizient und sorgen für eine ständige kreative Erneuerung.
Fazit
Ob nun Wort oder Tat am Anfang standen ist zweitrangig. Für Entwicklung und Fortschritt sind beide – sowohl die Planer, als auch die Macher, notwendig. Es gibt kein Entweder-Oder sondern nur ein Sowohl-als-Auch. Die Gewichtung ist situationsabhängig. Organisationen brauchen beides: Planungssicherheit für den Betrieb und Experimente für die Veränderung. In den letzten Jahren wurde der Plan eindeutig überschätzt.*** Die Herausforderung ist wohl, beide Elemente zu kultivieren und keines der beiden zu vernachlässigen.
- Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen (Hamburg: Rowohlt, 2008), 252f.
- Frederick Winslow Taylor, The Principles of Scientific Management (New York: Dover Pubn Inc, 1911).
- Chris Anderson, Makers. Das Internet der Dinge: die nächste industrielle Revolution (München: Carl Hanser Verlag, 2012).
- Paul Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen (Frankfurt am Main, 1980), 41.
- Charles P. Snow, The Two Cultures and the Scientific Revolution (New York: Martino Fine Books, 1961).
Feedback
Kommentar 1
MayDer Artikel impliziert in meinen Augen, dass alles einer bestimmten Struktur folgt, ob jetzt direkt angegangen oder vorab geplant. Doch was ist mit dem entscheidenden Fortschrittsmoment, das häufig (absichtlich oder nicht) übersehen wird: dem Zufall? Wer profitiert letztendlich mehr von ihm - der Macher, der dadurch auf neue Ideen kommt, oder der Planer, der so in der Lage ist, seine gewohnten Wege zu verlassen?