Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Intelligenz, Formen und Künste
fatum 4 | , S. 48
Inhalt

Roboy

Ein kleiner Roboter macht neugierig auf seine künstlichen Artgenossen

Ganz unscheinbar, nahezu schüchtern, verborgen in einer Ecke des Raumes, da sitzt er. Vorsichtig betrete ich das Labor und bahne mir meinen Weg durch das langgezogene Zimmer zu ihm. Vorbei an Schränken und Regalen, vollgestopft mit allerlei ingenieurwissenschaftlichen Unterlagen, Werkzeugen und Materialien. Vorbei an kompliziert aussehenden Apparaturen, die mit allerlei Drähten und bunten Kabeln gespickt sind. Vorbei an büffelnden Studenten, die tief versunken komplizierte Codes in ihre Laptops klopfen. Lieber nichts anfassen, denke ich mir, einfach weitergehen, um nichts kaputt zu machen. Schließlich stehe ich vor ihm. Er sitzt ruhig auf der Tischkante, die Füße hängen entspannt nach unten, die Hände hält er in der Luft. Mit leicht schrägem Kopf blickt Roboy mich an. Und ich staune nicht schlecht.

Roboy ist ein humanoider Roboter, das heißt, er besitzt menschenähnliches Aussehen. Roboy hat einen Kopf mit strahlend blauen Augen und einem lächelnden Mund, einen Rumpf, an den sich Arme und Beine, Hände und Füße anschließen. Auffälligerweise fehlt aber etwas: nämlich eine Haut. Rafael Hostettler, sozusagen der Erziehungsberechtigte für den kleinen Roboterjungen, erklärt warum: Roboy besitzt keine Haut, damit jeder in ihn hineinschauen kann und so auch wirklich sehen kann, wie der kleine Roboter funktioniert. Hostettler ist derzeit Doktorand an der Technischen Universität München, kommt ursprünglich aber aus der Schweiz. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) hat er Rechnergestützte Wissenschaften studiert – eine Art Mischung aus Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften. Von Zürich hat er dann den kleinen Roboy mit nach München gebracht und kümmert sich seitdem um ihn. Heute erklärt er mir, wie der Roboterjunge funktioniert.

Roboy ist der erste Prototyp seiner Art. Denn sein ganzer Körper besteht aus sogenannten Basiseinheiten, die den Bewegungsapparat nachbilden. Die einzelnen Teile des Skeletts kommen aus dem 3D-Drucker, sie bestehen aus Polyamid 2200. Zudem werden die Muskeln und Sehnen des menschlichen Körpers nachgebildet, das ist bisher einmalig. Der 31-jährige Hostettler erklärt mir das Prinzip der Bewegungseinheiten: Verschiedene Seile werden über eine Feder gespannt und dann je nach Bewegung schwächer oder stärker gezogen. Mit künstlicher Intelligenz hat das Ganze übrigens nichts zu tun, fügt er hinzu. Das ist in unserer Forschung, die mein Team und ich betreiben, irrelevant, uns geht es wirklich primär um die Bewegung und Funktion des Roboterkörpers.

Fasziniert betrachte ich Roboy, der mir direkt gegenübersitzt. Ich mustere die einzelnen Bausteine, die komplizierte Konstruktion des humanoiden Körpers, die verschlungenen Drähte, Kabel und Seile. Doch dann werde ich abgelenkt. Eine Gruppe Studenten, drei Männer und zwei Frauen, schart sich im Nebenzimmer um Rafael Hostettler. Der 31-Jährige trägt Jeans und T-Shirt. Er spielt mit seinem Schlüsselband, das ihm um den Hals baumelt. Sie alle packen ihre Laptops aus, plaudern kurz über die wichtigsten Neuigkeiten und gruppieren sich auf großen Hockern und Sitzsäcken um einen hohen weißen Ecktisch. Dann beginnt das Meeting, es ist genau 18 Uhr. Alles wird auf Englisch besprochen. Auf mich als Außenstehende wirkt das ein wenig seltsam, weil offensichtlich alle Deutsch beherrschen. Aber Englisch ist Wissenschaftssprache. Nacheinander erzählen die Studierenden von ihrer Arbeit, von den Erfolgen und Rückschlägen der letzten Tage und Wochen, von Problemen, die sie zu lösen haben. Einer muss leider aussteigen, er schaffe das Arbeitspensum nicht mehr, sagt er, er habe einfach nicht genügend Zeit und Energie, jedenfalls nicht so viel, wie das Projekt es verdient hätte. Rafael Hostettler führt Protokoll, hört aufmerksam zu, gibt Anstöße für Problemstellungen. Er rügt auch, wenn etwas schief gelaufen ist, lobt dafür aber auch jeden Fortschritt der studentischen Arbeitsgruppen.

Roboy
Foto: Adrian Baer (Devanthro)

Zwischen zehn und 50 Studenten engagieren sich im Durchschnitt dafür, alle unter der Leitung von Rafael Hostettler. Die Studenten arbeiten selbstständig in kleinen Teams, kommen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen – aus der Elektrotechnik, Mechanik oder Simulation, demnächst stößt ein Student aus dem Bereich Design dazu. Sie arbeiten dabei an diversen Aufgaben. Das erklärte Ziel ist es, jedes Jahr eine neue Roboy-Generation zu bauen und dabei immer neuere Technologien zu nutzen. Bisher befindet sich die menschenähnliche Maschine noch in ihrer ursprünglichen Form, im Herbst dieses Jahres soll dann der Bau von Nummer zwei starten.

Als alle fünf Studenten fertig sind, beginnt Doktorand Hostettler zu sprechen und erzählt: von seinen eigenen Fortschritten, von seinen Erwartungen, was in der nächsten Zeit alles ansteht. Mein Wunsch wäre es, wenn das Projekt eine Art Eigendynamik entwickeln würde, sagt er. Es sollte zu einem Selbstläufer für alle Beteiligten werden.

Doch Roboy ist mehr als bloß ein Roboter an sich. Er fungiert – über seine Existenz als Forschungsobjekt hinaus – als eine Art Messenger für neue Formen der Robotik, sozusagen ein Botschafter. Er soll öffentliche Aufklärungsarbeit leisten. Was ist eigentlich ein Roboter? Wie funktioniert er? Was ist gut, und was ist verbesserungswürdig? All diesen Fragen will die Münchner Forschungsplattform begegnen und die Antworten auch anderen Menschen näherbringen. Roboy soll vor allem auch die Angst vor der Robotik nehmen und Vorurteile abbauen. Dienlich dafür ist sein putziges Aussehen – die kindliche Statur und die blauen Augen – die Ähnlichkeit zum Menschen und, dass jeder Betrachter genau sehen kann, welche Technik in ihm steckt. Viele Leute überschätzen einfach, was Roboter leisten, sagt Hostettler. Unser Roboy kann nicht mal gehen, weil das menschliche Gehen ein derart komplexer und dynamischer Prozess ist, der von so vielen Faktoren abhängig ist, zum Beispiel der Bodenbeschaffenheit. Viele Menschen fürchten jedoch nicht nur Roboter an sich, sondern haben auch Angst, irgendwann einmal von ihnen im Beruf ersetzt zu werden. Aber mal ehrlich. Der Mensch hat schon immer versucht, alles effizienter zu machen. Werkzeuge, Maschinen, Autos, Computer. Vielleicht gehört diese Effizienzsteigerung, das Immer-alles-noch-einfacher-Machen zu seiner Natur. Und vielleicht sind Roboter in dieser Art Evolution nur der nächste Schritt, so der 31-Jährige.

Doch wie trifft Roboy die Menschen, die sich für ihn interessieren oder denen er die Robotik ein Stück weit näherbringen soll? Für diese Mission – den Bildungsauftrag – reisen Rafael Hostettler, seine Studenten und der kleine Roboterjunge um die Welt. Sie waren schon in Doha, Katar, Washington, Shanghai und vor allem im deutschsprachigen Raum unterwegs, demnächst geht es nach London. Vor allem Fachmessen besuchen die beiden, erst kürzlich waren sie aber auch bei der Verleihung des deutschen Innovationspreises in München. Es gibt dabei hauptsächlich drei unterschiedliche Events, die wir machen, erzählt Rafael Hostettler. Entweder sie besuchen Messen oder Veranstaltungen, damit die Menschen den Roboter betrachten und nachfragen können, was er macht oder wie er funktioniert. Dann ist Roboy eher passiv, und wir erzählen und erklären. Doch er kann auch anders: Denn das kleine Kerlchen verhält sich durchaus auch kommunikativ und interaktiv. Dann schüttelt Roboy seinen Gästen die Hand und unterhält sich mit ihnen.

Es gibt noch ein ganz besonderes Angebot, nur für Schüler: Roboy in school nennt sich diese Art Veranstaltung, bei der das kleine Kerlchen Jugendliche in ihren Schulen besuchen kommt. Vor allem für junge Erwachsene, die kurz vor dem Abitur stehen, ist das interessant, sagt Hostettler, der dabei gleich auch noch für ein Studium der MINT-Fächer wirbt: also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik. In verschiedenen Stationen erzählt Roboy den Schülern dann etwas über Ethik, Funktion und Nutzen der Maschinen. Und auch wie viel Biologie und Medizin in so einem Roboter stecken. Das Highlight des Schulbesuches ist dann ein Wettbewerb. Dabei können die Schüler gegeneinander antreten und beweisen, wer den schnellsten Roboter baut.

Auf der einen Seite ist Roboy dazu da, dass Menschen Roboter besser verstehen können, sagt Hostettler. Es geht darum, dass man einen Roboter baut und dann analysiert, was gut läuft und was eher schlecht. Daraus kann man lernen, was man bei der nächsten Maschine verbessern kann. Warum eigentlich überhaupt humanoid, also menschenähnlich? Zum einen ist es leichter, Vertrauen in die Maschine zu fassen, wenn sie wie ein Mensch aussieht. Man verknüpft positive Eigenschaften mit dem Roboter, die Schwelle der Skepsis ist geringer.

Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass nicht die Menschen sich der Umwelt angepasst haben, sondern andersherum: Der Mensch hat sich die Umwelt an seine Bedürfnisse angepasst: zum Beispiel Treppen oder Straßen. In dieser menschengetrimmten Umgebung muss sich der Roboter bewegen können. Das ist schon mal einfacher umzusetzen, wenn er ähnliche Eigenschaften wie der Mensch besitzt, sagt Hostettler.

Das Treffen der Studenten mit Hostettler neigt sich dem Ende, es ist schon nach 19 Uhr. Alle haben festgestellt: Man braucht mehr Leute, für die angedachten Aufgaben und den festgelegten Arbeitsplan. Um im Herbst mit dem Bau des Roboy der zweiten Generation starten zu können. Wir sind immer auf der Suche nach Studenten, die sich für unser Projekt interessieren, sagt Rafael Hostettler. Aus welcher Fachrichtung sie kommen, ist mir nicht so wichtig. Im Gegenteil: Ich finde es toll, unterschiedliche Leute an einen Tisch zu bringen, sodass daraus facettenreiche Diskurse entstehen. Das kann nie schaden, nur nützen. Ein großes Interesse für die Robotik sollte aber schon vorhanden sein – und Zeit. Denn Hostettler erwartet, dass seine Studenten bereit sind, viele Stunden für Roboy zu investieren, ihr Leben zu opfern für ein bis zwei Semester. Dafür bietet Roboy ihnen die Möglichkeit, ihr angelerntes theoretisches Wissen zur Anwendung zu bringen. Das kommt im Regelstudium manchmal zu kurz.

Doch welchen Sinn hat eigentlich die ganze Studenten-, Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit um Roboy? Über dem aktuellen Projekt steht natürlich auch ein übergeordnetes Ziel für die Zukunft: Unser Forschungskonzept ist, dass Roboy irgendwann einmal den menschlichen Körper vollständig ersetzen soll. Wenn also der biologische Körper verfällt, soll das menschliche Ego in den Robo-Körper übertragen werden. Man muss sich das so vorstellen: Der Mensch wird normal geboren und wächst auf. Dabei bekommt er alle normalen Einflüsse mit, die ihn prägen und seine Persönlichkeit formen. Wenn der Mensch älter wird, beginnt sein biologischer Körper abzubauen oder sogar zu verfallen. Dann ist der Zeitpunkt da, an dem sein Ego, seine Gedanken und Gefühle, aus der biologischen Hülle genommen und in den Roboter transferiert werden. Aber ist so etwas denn möglich? Braucht man so etwas denn überhaupt? Oder will man das gar? Rafael Hostettler glaubt fest daran: Klar, ist es derzeit noch eine Frage von Zeit und Technik, aber der menschliche Körper ist dem biologischen Verfall mit der Zeit ausgeliefert. Wieso sollte man das nicht überwinden wollen? Denn für mich gibt es grundsätzlich eigentlich keine Gründe, warum es nicht funktionieren sollte.

Diese Vorstellung ähnelt der philosophischen Denkrichtung des Transhumanismus. Allgemein ist der Begriff schon manchen bekannt. Denn Transhumanismus war bereits ein Thema im Film Transcendence mit Jonny Depp, in dem der Forscher Will Caster sein Gehirn in einen Quantencomputer hochlädt und so in dem Computer weiterleben kann.

Doch auch in der Philosophie findet diese Strömung Bedeutung – und ist dabei äußerst kontrovers, jedoch nicht ohne Einfluss. Begründet hat den Transhumanismus der britische Biologe, Philosoph und Schriftsteller Julian Huxley mit seinem gleichnamigen Werk in den 50er-Jahren. Es geht dabei vor allem darum, die Grenzen der Menschlichkeit, seien sie körperlich oder geistig, mit Hilfe technischer Hilfsmittel zu überwinden. Das Ziel dabei ist, einen sogenannten post-humanen Zustand zu erreichen. Die Verpflichtung zum Fortschritt sehen Transhumanisten als treibende Kraft. Es gibt dabei verschiedene Strömungen. Zum Beispiel den Extropianismus, der sich bemüht, die biologische Evolution des Menschen zu beschleunigen.

Verblüfft von all den gesammelten Eindrücken verlasse ich das Roboy-Labor und ordne meine Gedanken. Auf der einen Seite bin ich fasziniert von der Technik, was mittlerweile alles möglich ist, was in der Zukunft alles passieren könnte. Auf der anderen Seite finde ich diese Vorstellungen auch ein wenig gruselig. Es bleibt spannend, was aus den Kindern, Enkeln und Urenkeln des kleinen Roboy mit den blauen Augen alles werden könnte.


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