Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 8
Inhalt

Was ist das: Dialog?

Antwort von Klaus Mainzer

Dialog ist eine Gesprächsform, in der Argumente durch Rede und Gegenrede ausgetauscht werden. Sie findet in allen Bereichen der Zivilgesellschaft statt – in der Familie, am Arbeitsplatz, in Universitätsgremien, bei Gericht und schließlich im Parlament. Der Dialog folgt Regeln, denen wir uns häufig nicht bewusst sind. In öffentlichen Verfahren sind sie sogar durch Gesetze festgelegt – so zum Beispiel bei Genehmigungsverfahren von Energieanlagen in Bürgeranhörungen oder Urteilsfindung bei Gericht. Letztlich beruht ein Dialog auf elementare Regel der Logik. Angeregt durch den Erlanger Logiker, Mathematiker und Philosophen Paul Lorenzen (1915–1994) hatte ich mich damit bereits während meines Studiums beschäftigt. Die Idee war, die logischen Operatoren „dialogisch“ zu begründen:

Wir stellen uns dazu einen „Proponenten“ (zum Beispiel Verteidiger bei Gericht) vor, der eine Aussage A behauptet. Wird A durch einen „Opponenten“ (zum Beispiel Staatsanwalt) bezweifelt, muss der Proponent den Beweis von A antreten. Die dialogischen Regeln müssen nun für alle möglichen logischen Zusammensetzungen von Aussagen definiert werden: Behauptet der Proponent eine logische Konjunktion von zwei Aussagen, also A und B (formal: A ∧ B), dann muss er bei einem Angriff durch einen Opponenten sowohl A als auch B verteidigen bzw. begründen. Behauptet der Proponent eine logische Disjunktion, also A oder B (formal: A ∨ B), dann genügt es, wenn er wenigstens eine der beiden Teilaussagen A bzw. B begründen kann. Behauptet der Proponent die logische Negation von A, also nicht A (formal: ¬A), dann wird der Opponent in einer Widerrede A behaupten. Im Gegenzug muss dann der Proponent zeigen, dass die Annahme von A zu einem Widerspruch führt. Er muss also A widerlegen. Beispiel: Behauptet ein Angeklagter, nicht am Tatort gewesen zu sein (¬A) und der Staatsanwalt behauptet seinen Aufenthalt (A), dann muss der Angeklagte zeigen, dass die Annahme von A im Widerspruch zum Beispiel zu einer Zeugenaussage über seinen wahren Aufenthalt steht.

In den Wissenschaften werden häufig Behauptungen unter der Annahme von Bedingungen (zum Beispiel Rahmenbedingungen von Experimenten) aufgestellt. Das sind logische Folgerungen: Behauptet ein Wissenschaftler, dass unter der Voraussetzung A die Behauptung B gilt, also: Wenn A, dann B (formal: A → B), dann wird sein Gegner zwar die Prämisse A zugeben, aber eine Begründung von B unter der Annahme von A verlangen. Eine Aussage ist also wahr, wenn sie im Dialog verteidigt werden kann. Tatsächlich lässt sich so die formale Logik konsistent begründen. Darauf bauen die Wissenschaften auf.

Aber nicht nur die Wissenschaften wie die Mathematik mit ihren Beweisen, die Naturwissenschaften mit ihren Experimenten und die Sozialwissenschaften mit ihren Datenerhebungen sollten ihre Meinungsverschiedenheiten dialogisch austragen, sondern die Gesellschaft insgesamt. Nur so können wir der Vernunft zum Durchbruch verhelfen. Diese Idee ist uralt und mit den Anfängen der Demokratie in Athen verbunden. Es waren griechische Philosophen, die den Staat durch den Dialog der Bürger begründen wollten. Der scheidende amerikanische Präsident Barack Obama hat darauf kürzlich in Athen eindrucksvoll hingewiesen.

Aus gutem Grund: Der letzte amerikanische Wahlkampf und populistische Strömungen in Europa scheinen ein „postfaktisches“ Zeitalter einzuläuten: Statt Fakten, Begründung und Dialog geht es nur noch um Gefühle und Stimmungen. „Faktencheck“ wird ausdrücklich abgelehnt. Im Zeitalter der sozialen Medien sind Showeffekte und Quotensteigerung durch immer neue Reize (zum Beispiel Tabubrüche) wirkungsvoller als Argumente. Auch das ist nicht neu, sondern wurde bereits in Athen von den Gegnern der Philosophie geschickt eingesetzt. Nur laufen diese Prozesse heute in globalen Netzwerken ab. Das Ende des Dialogs und (damit) das Ende der Demokratie? Ja, wie die deutsche Geschichte zeigt, kann uns das am Ende drohen. Wir sollten daher den demokratischen Dialog selbstbewusst und offensiv vertreten. Dabei müssen wir diejenigen in die Schranken verweisen, die sich nicht an die Regeln halten: Dialog ist gut, aber nicht um jeden Preis!


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