Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 80
Inhalt

Dialog der Bienen

Wie Bienenvölker einen neuen Wohnort auswählen

Apis mellifera, die Honigbiene, ist wohl das bekannteste und beliebteste Insekt der Welt. Etwa 200 Milliarden Bienen befinden sich im Besitz von Imkern und leisten einen bedeutenden Beitrag zur Nahrungsversorgung des Menschen: Sie sind die wichtigsten Bestäuber vieler Nutzpflanzen. Was viele nicht wissen – die Honigbiene ist nur eine von weltweit etwa 20.000 Bienenarten.1 Anders als die meisten Wildbienen hat die Honigbiene eine soziale Lebensweise. Im Bienenschwarm gibt es eine Königin und viele Arbeiterinnen. Im Laufe ihres Lebens erledigen die Arbeiterinnen verschiedenste Aufgaben für ihr Volk. Nach dem Schlupf ist die Biene zunächst im „Innendienst“ tätig. Das bedeutet, dass sie Brutzellen säubert, die Larven und die Königin versorgt und Wachs für den Bau von Waben und den Abschluss der Brutzellen produziert. Nach gut zwei Wochen ist sie am Eingang des Bienenstocks für die Bewachung ihres Volkes zuständig. In dieser Zeit bilden sich die Wachsdrüsen zurück, die sie als Sammlerin nicht mehr braucht. Ab etwa dem zwanzigsten Tag nach dem Schlupf wechselt die Biene endgültig in den „Außendienst“. Sie sammelt Pollen und Nektar und versorgt so das Bienenvolk mit Nahrung.

Im späten Frühjahr und Frühsommer ist es für die Honigbienen an der Zeit zu schwärmen. Zu dieser Zeit sind die Bienenvölker am größten. Mit insgesamt 20 000 bis 30 000 Individuen wird ihnen der Stock zu klein und sie beginnen neue Kolonien zu bilden. Jedes Volk bringt tausende von Drohnen (=männliche Bienen) hervor, deren einzige Funktion ist, die jungen Königinnen zu befruchten. Außerdem legt die alte Königin in besonders große Waben Eier, aus denen neue Bienenköniginnen heranwachsen sollen. Die Larven werden dazu von den Arbeiterinnen ausschließlich mit Gelée royale, dem Weiselfuttersaft, ernährt, und entwickeln sich so zu fruchtbaren Jungköniginnen. Die alte Königin verlässt mit etwa 10 000 Bienen ihre Kolonie, um ein neues Volk zu gründen. Ist das zurückbleibende Volk groß genug, schwärmen außerdem so lange auch die neu schlüpfenden Königinnen, bis nur noch so wenige Arbeiterinnen übrig sind, dass sie keinen weiteren Schwarm abspalten können. Die verbleibenden Jungköniginnen kämpfen nun um die Vorherrschaft im ursprünglichen Schwarm. Die Siegerin wird die neue Königin und der Schwarm nimmt wieder an Größe zu.

Nahaufnahme einer einzelnen Biene auf einer weißen Blüte.
Von den Bienen und den Blümchen, Bild: Michaela Hofmann

Für die schwärmenden Bienen gilt es, einen geeigneten neuen Wohnort für ihr Volk zu finden. Gelingt es dem Imker nicht, den Schwarm einzufangen und in einen künstlichen Bienenstock zu übersiedeln, kann es sein, dass der Schwarm verwildert und sich einen natürlichen Nistplatz sucht. Hierbei bevorzugen Honigbienen hohle Baumstämme von etwa 40 Liter Volumen in einer Höhe von circa 5 Metern.2 Gerne werden verlassene Stöcke verstorbener Völker genutzt, da schon vorhandene Waben den Materialaufwand für den Nestneubau verringern. Doch wie können sich tausende von Bienen auf einen Wohnraum einigen? Wie bewerten sie die Qualität der verschiedenen Möglichkeiten? Und wie gelingt es ihnen, den ganzen Schwarm dann auch zur richtigen Stelle zu leiten?

Beobachtet man einen Bienenschwarm, der sich beispielsweise an einem Ast niedergelassen hat, kann man erkennen, dass auf der Oberfläche des Schwarms einige Bienen den so genannten Schwänzeltanz aufführen. Der Schwänzeltanz wurde bereits von Aristoteles beschrieben und ab 1920 von Karl von Frisch genauer untersucht.3 In der Regel dient der Schwänzeltanz dazu, den Futtersammlerinnen im Bienenstock die Lage und Entfernung von Nahrungsquellen mitzuteilen. Dazu „schwänzelt“ die Biene, die eine rentable Nektarquelle entdeckt hat, indem sie ihren Hinterleib rüttelt. Je länger diese Schwänzelstrecke ist, desto weiter ist die Nahrung entfernt. Die Richtung, in der das Futter zu finden ist, wird relativ zum Sonnenstand angegeben. So können weitere Sammlerinnen die Nahrungsquelle besuchen. Wird dieser Schwänzeltanz allerdings auf einem Schwarm ausgeführt, wechselt er seine Bedeutung. Nun gibt er nicht die Position einer Futterquelle, sondern den Standort einer Nistmöglichkeit an.

Schwärmt ein Bienenschwarm, sammeln sich die meisten Bienen zunächst um die Königin herum, um diese zu schützen und sich gegenseitig warm zu halten. Durch den Stoffwechsel der dicht gedrängten Bienen, bzw. falls nötig auch durch Muskelzittern, gelingt es dem Schwarm, eine Temperatur von 34–36 °C im Inneren des Schwarms bzw. immerhin noch 17 °C an der Außenseite zu halten. Einige der ältesten Bienen allerdings, die bisher als Nahrungssammlerinnen tätig waren, verlassen ihre Kolonie und begeben sich auf die Suche nach neuen Nistmöglichkeiten. Während sie normalerweise nach farbigen, duftenden Blumen suchen, werden sie nun von dunklen Löchern und Spalten angezogen. Hat eine Kundschafterin einen potentiellen Nistplatz gefunden, fliegt sie um den Eingang und dann in den dunklen Hohlraum hinein. Durch ein Ablaufen der Wände sowie das Durchfliegen des Nistplatzes versucht sie, die Größe des Hohlraums abzuschätzen.4 Falls sie ihre Entdeckung als geeignet empfindet, kehrt sie zum Schwarm zurück und berichtet mittels des gerade beschriebenen Schwänzeltanzes von ihrer Entdeckung. Je energischer dieser durchgeführt wird, desto hochwertiger ist der neue Wohnraum zu bewerten.

Zunächst kann man beobachten, dass auf der Oberfläche des Schwarmes für verschiedene Nistplätze geworben wird. Je energischer eine Kundschafterin für ihren Nistplatz wirbt, desto mehr andere Kundschafterinnen werden angeregt, den Nistplatz auch zu besuchen und zu bewerten. Befinden auch sie den Hohlraum als geeignet, werden auch sie energisch für diesen Standort Werbung machen und so immer mehr Befürworterinnen für diese Stelle anwerben. Im Laufe der Zeit verschwinden minderwertige Nistplatzvorschläge aus dem Vorschlagspool, weil jede einzelne Kundschafter-Biene nach einer gewissen Zeit aufhört, einen Standort zu bewerben. Hat sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht genügend neue Befürworterinnen angeworben, wird diese Alternative nicht mehr berücksichtigt. Über diesen Mechanismus wird im Laufe der Zeit eine Mehrheitsmeinung gebildet, wodurch der neue Standort für den Schwarm als ausgewählt gilt. Diese beeindruckende Art der Konsensfindung ohne Worte kann durchaus als Dialog der Bienen betrachtet werden. Im Gegensatz zu Diskussionen in Menschen-Gemeinschaften haben die Bienen aber einen großen Vorteil: Sie alle verfolgen das gemeinsame Ziel, einen bestmöglichen Nistplatz für ihren Schwarm zu finden.

Sind sich dann alle Bienen eines Schwarmes einig (was je nach Witterung auch mal mehrere Tage lang dauern kann), kommt es zur nächsten Kommunikationsaufgabe: Wie koordiniert man eine Gemeinschaft mit mehreren Tausend Individuen, sodass alle gleichzeitig aufbrechen und in die richtige Richtung fliegen? Mit einfachem Losfliegen ist es nicht getan, da die meisten Bienen zunächst nicht die geeignete „Betriebstemperatur“ haben. Wie erwähnt ist der Schwarm außen meist nur etwa 17 °C warm, was nicht reicht, damit eine Biene fliegen kann. Um mit ihrer Flugmuskulatur die fast 250 Schläge pro Minute zu schaffen, die sie braucht, um abzuheben, muss der Bienenkörper erst einmal auf etwa 35 °C aufgeheizt werden. Würde man eine kältere Biene in die Luft werfen, würde diese einfach zu Boden fallen, statt wegzufliegen.

Nahaufnahme einer einzelnen Biene auf einer Gruppe von mehereren kleinen Blüten.
Von den Bienen und den Blümchen 2, Bild: Michaela Hofmann

Auch in diesem Fall übernehmen die Kundschafterinnen eine wichtige Aufgabe. Sie treten in Dialog mit den kühlen Bienen an der Schwarmoberfläche und informieren sie über den anstehenden Abflug. Natürlich geschieht das nicht mit Worten, aber man kann den Dialog trotzdem hören. Etwa eine Stunde bevor ein Bienenschwarm abfliegt, ist ein hundertfaches, hohes Summen zu hören. Jeder einzelne Pfiff dauert nur etwa eine Sekunde und besteht aus einem ansteigenden Ton, ähnlich wie der eines startenden Formel-1-Autos. Dieses Geräusch wird von den Kundschafterinnen erzeugt.5 Nach der Einigung auf einen geeigneten Nistplatz laufen sie hektisch auf der Schwarmoberfläche umher und bleiben dann immer wieder stehen, um ihre Brust gegen eine der unbeweglichen, kühlen Bienen zu drücken. Dabei ziehen sie die Flügel eng über dem Hinterleib zusammen und vibrieren leicht mit ihnen, was ein hochfrequentes Geräusch erzeugt. Zwischen diesen Pfeifsignalen führen die Kundschafterinnen weiterhin den Schwänzeltanz aus, um über den Standort des neuen Heims für den Schwarm zu informieren. Dieses „Wachrütteln“ führt dazu, dass sich die ruhenden Bienen auf den Abflug vorbereiten, was man kurz vor dem Abflug auch mit einer Wärmebildkamera nachweisen kann: Der Brustbereich aller Bienen hat die nötige Flugtemperatur von etwa 35 °C erreicht.

Der Abflug selbst wird von sogenannten Schwirrläuferinnen koordiniert. Diese laufen kurz vor dem Abflug summend mit ausgebreiteten Flügeln über den Schwarm und drängen die anderen Bienen auseinander. Es überrascht nicht, dass es sich auch bei den Schwirrläuferinnen um die Kundschafterinnen handelt, die zunächst pfeifend und später abwechselnd pfeifend und schwirrend über den Schwarm laufen. Durch dieses Signal hebt der Schwarm schließlich ab, und schon entsteht die nächste Herausforderung – der koordinierte Flug zum neuen Nistplatz. Auch dieser wird von den Kundschafterinnen gelenkt. Sie durchfliegen den Schwarm immer wieder schnell in Richtung des neuen Nistplatzes, um sich an der Spitze angelangt wieder zurückfallen zu lassen.6 Durch das schnelle nach vorne Schießen im Schwarm leiten sie ihre Kolonie zum Nistplatz. Für die letzten Meter wechseln sie allerdings ihre Strategie. Statt einer visuellen Leitung, die den Bienenschwarm grob in die Nähe des Nistplatzes bringt, geben sie olfaktorische Signale, um ihren Artgenossen den Weg zum Eingang des neuen Wohnortes zu weisen. Sie platzieren sich um die Öffnung des Nistplatzes und heben ihren Hinterleib, wodurch sie Duftstoffe abgeben, die den Weg ins neue Heim weisen. Erstaunlicherweise reichen weniger als 5 % ortskundige Bienen, um eine Mehrheit an unwissenden Bienen erfolgreich zu lenken und ans Ziel zu führen.

Endlich am Ziel angekommen bezieht der Bienenschwarm sein neues Domizil und beginnt sofort mit dem Aufbau von Waben und dem Anlegen von Futterreserven. Bis zum Winter muss es dem Volk gelingen, genug Honig eingelagert zu haben, um die kalte Jahreszeit zu überstehen. Im nächsten Jahr beginnt das Spiel dann von neuem. Die Kolonie wächst, und irgendwann formt ein Teil der Bienen einen neuen Schwarm, der sich wiederum ein neues Heim suchen muss.*


  1. Charles D. Michener, The bees of the world (Baltimore und London: JHU Press, 2000).
  2. Thomas D. Seeley, und Roger A. Morse. The nest of the honey bee (Apis mellifera L.). in Insectes Sociaux (Heidelberg: Springer Verlag, 1976), 495–512.
  3. Karl von Frisch, und Rudolf Jander. Über den Schwänzeltanz der Bienen in Zeitschrift für vergleichende Physiologie (Heidelberg: Springer, 1957), 239–263.
  4. Thomas D. Seeley. Measurement of nest cavity volume by the honey bee (Apis mellifera). in Behavioural Ecology and Sociobiology (Heidelberg: Springer, 1977), 201–227.
  5. Thomas D. Seeley, und Jürgen Tautz. Worker piping in honey bee swarms and ist role in preparing for liftoff in Journal of Comparative Physiology (Heidelberg: Springer, 2001), 667–676.
  6. Madeleine Beekman et al., How does an informed minority of scouts guide a honey bee swarm as it flies to its new home? in Animal Behaviour (Amsterdam: Elsevier, 2006): 161–171.

Neue Wege der Tierethik, Teil III
Die Fortsetzungsfolge Neue Wege der Tierethik verfolgt einen inklusiven Ansatz. Sie lässt Personen unterschiedlicher (Fach-) Hintergründe mit verschiedenen Perspektiven auf Tiere zu Wort kommen und schlaglichtartig einzelne kontroverse Aspekte und Ansätze aus dem Bereich der Tier­ethik beleuchten. Themenvorschläge, Anregungen und Kritik sind jederzeit erwünscht.


Weitere Artikel der Serie Neue Wege in der Tierethik:


Feedback

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Liebes fatum-Team,

mb

da ich ebenfalls in der Thematik "BienenDialog" forsche, wollte ich fragen, ob Ihr Kontaktdaten von Frau Hofmann weitergeben würdet oder eventuell meine weiterreichen könnt? Das wäre toll! Sonnige Grüße

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Hallo mb,

Sylvester Tremmel

wir werden versuchen Frau Hofmann zu kontaktieren und Ihre Kontaktdaten weitergeben. Alles weitere dann per E-Mail.

Viele Grüße
Sylvester

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Kommentar 3

Ennio Frezza Naturarzt

Ich würde gern so eine Binenstock in mein Garten aufstellen, ich brauche Unterstuzung von kompetenten Menchen ! Ist das möglich ? Ich habe auch ein Garten noch nicht aufgebaut ums Haus aus Holz ! 

Ennio Frezza [Adresse und Telefonnummer der Redaktion bekannt]

Frendliche Grüße Ennio Frezza 

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Kommentar 4

Sylvester Tremmel

Hallo Herr Frezza,

wir werden versuchen die Autorin wegen Ihrer Anfrage zu kontaktieren. Im Erfolgsfall meldet sie sich dann bei Ihnen. 

Viele Grüße

Sylvester

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Kommentar 5

Sarah Frank

Lieber Herr Frezza,

wenn es um Honigbienen geht, sollten Sie sich bei einem Imkereiverband melden, für Wildbienen bei einem Naturschutzbund, z.B. dem LBV. Leider kann die Autorin aufgrund der großen Nachfrage, die das Thema Bienen im Moment auslöst, nicht auf jeder Anfrage von Privatpersonen eingehen, zumal die online zur Verfügung stehenden Ressourcen z.B. vom BUND inzwischen sehr gut sind. Generell ist sie ich skeptisch, wenn jemand so beim Imkern einsteigen will, da kann man auch viel falsch machen. Am besten ist es wirklich, wenn man sich von erfahrenen Imkern in die Thematik einführen lässt.

Wir hoffen, diese Informationen helfen Ihnen weiter.

Mit freundlichen Grüßen,

Sarah (fatum-Redaktion)

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