Dialog
fatum 5 |
Inhalt

Was ist das: Dialog?

Drei Experten geben kurze Einführungen in die Thematik „Dialog“. Prof. Rapp betrachtet die antiken Wurzeln des Dialogs. Er erklärt, wie die drei großen Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles Dialog verstanden und methodisch nutzten. Anschließend erläutert Prof. Mainzer, wie Dialoge zwischen Personen auf einer fundamentalen Ebene den formalen Regeln der Logik folgen. Der Innovationsforscher Dr. Sicco Lehmann-Brauns definiert gesellschaftliche Strukturen, die als Schnittstelle für Dialog zwischen Wissenschaft und Industrie dienen können.

Antwort von Christof Rapp

Der philosophische Dialogbegriff erfuhr eine wesentliche Prägung durch die antike griechische Philosophie. Nachdem sich frühere Philosophen unter anderem in Form von Lehrgedichten geäußert hatten, sagte Sokrates, er wolle gar nichts lehren, sondern sich nur mit seinen Mitbürgern unterreden oder unterhalten (griech.: dialegesthai). Was hierbei zunächst wie eine ganz alltägliche Praxis aussieht, nahm aber unter dem Einfluss von Sokrates eine ganz besondere Form an: die eines Zwiegesprächs, bei dem die Gesprächspartner einer Prüfung (peira) unterzogen wurden. Geprüft werden sollten dabei die Wissensansprüche der Dialogpartner, die Sokrates durch die Was-ist-Frage, also die Frage nach der Definition des vermeintlich Gewussten, gezielt unterminierte. In der Regel endeten die sokratischen Gespräche daher mit der Widerlegung (elenchos) des Gesprächspartners, wodurch dessen zuerst mit großer Gewissheit vorgetragenen Behauptungen als Scheinwissen entlarvt waren.

Die sokratische Gesprächsführung diente als Vorbild für die von Platon entwickelte literarische Form des fiktiven philosophischen Dialogs. In seinen Schriften lässt Platon philosophische Probleme durch seine Dialogfiguren in Form eines Frage- und Antwortgesprächs erörtern. Obwohl diesen Gesprächen meistens mehr als nur zwei Personen beiwohnen, konzentrieren sich die einzelnen Abschnitte des Gesamtdialogs zumeist auf einzelne Figuren, die dem Gesprächsführer, zumeist verkörpert durch die Figur des Sokrates, Rede und Antwort stehen. Oft nehmen sich die beteiligten Gesprächspartner nur advokatorisch einer These an, ohne sie selbst zu vertreten. Hierdurch tritt bei Platon der Aspekt der persönlichen Prüfung zunehmend zugunsten einer entpersonalisierten Thesenprüfung in den Hintergrund. Gleichzeitig verteidigt Platon die dialogische Vorgehensweise (für die er auch den Begriff „dialektisch“ einführt) gegen ein monologisches Verfahren, weil nur im Dialog eine philosophische Position sachgerecht unterteilt und in Teilfragen strukturiert werden könne. Außerdem sei nur im Dialog gewährleistet, dass die Gesprächspartner – anders als bei Monologen – jeden einzelnen argumentativen Schritt ausdrücklich billigen. Diese dialogische Struktur des Fragens und Antwortens, bei der jeder Teilschritt ausdrücklich geprüft und – je nachdem – akzeptiert oder verworfen wird, scheint Platon für das Philosophieren so zentral, dass er auch das Denken, das grundsätzlich jeder für sich selbst vollziehen kann, als ein Gespräch der Seele mit sich selbst kennzeichnet.

Die in Platons Dialogen oft implizit vorausgesetzten Regeln einer dialogisch-rationalen Thesenprüfung werden von Aristoteles zur Anleitung einer Gesprächsform kodifiziert, die auf den ersten Blick recht artifiziell anmutet. In dem „dialektischen“ Zwiegespräch bei Aristoteles gibt es eine strikte, zu Beginn eines Gesprächs jeweils festgelegte Rollenverteilung zwischen dem Fragenden und dem Antwortenden. Der Antwortende muss zunächst aus einem kontradiktorischen Aussagenpaar auswählen, welche These er verteidigen will. Von nun an versucht der Fragende durch Satzfragen den Antwortenden zu solchen Zugeständnissen zu drängen, aus denen er die Widerlegung der vom Antwortenden gewählten Ausgangsthese herleiten kann. Der Antwortende darf hierauf nur mit Ja oder Nein, das heißt mit dem Akzeptieren oder Ablehnen der vorgelegten Thesen, reagieren. Ist die vorgelegte These weithin anerkannt, zum Beispiel, dass es Bewegung gibt, muss der Antwortende diese akzeptierten. Ist die These weniger plausibel, und steht zu befürchten, dass sie der zu verteidigenden Ausgangsthese widerspricht, wird er sie tunlichst zurückweisen. Schafft es der Fragende innerhalb einer zuvor definierten Zeitspanne, eine Widerlegung aus den Zugeständnissen des Antwortenden herzuleiten, dann hat er das dialektische Gespräch gewonnen, schafft er es nicht, hat der Antwortende gewonnen. Zwar meint Aristoteles nicht, dass sich mit diesem Verfahren die Wahrheit einer philosophisch-wissenschaftlichen These endgültig etablieren lässt, jedoch ist es für den Wahrheitswert einer These sehr wohl aufschlussreich, ob sie sich in einem derart regulierten Dialog konsistent verteidigen lässt oder nicht.

Antwort von Klaus Mainzer

Dialog ist eine Gesprächsform, in der Argumente durch Rede und Gegenrede ausgetauscht werden. Sie findet in allen Bereichen der Zivilgesellschaft statt – in der Familie, am Arbeitsplatz, in Universitätsgremien, bei Gericht und schließlich im Parlament. Der Dialog folgt Regeln, denen wir uns häufig nicht bewusst sind. In öffentlichen Verfahren sind sie sogar durch Gesetze festgelegt – so zum Beispiel bei Genehmigungsverfahren von Energieanlagen in Bürgeranhörungen oder Urteilsfindung bei Gericht. Letztlich beruht ein Dialog auf elementare Regel der Logik. Angeregt durch den Erlanger Logiker, Mathematiker und Philosophen Paul Lorenzen (1915–1994) hatte ich mich damit bereits während meines Studiums beschäftigt. Die Idee war, die logischen Operatoren „dialogisch“ zu begründen:

Wir stellen uns dazu einen „Proponenten“ (zum Beispiel Verteidiger bei Gericht) vor, der eine Aussage A behauptet. Wird A durch einen „Opponenten“ (zum Beispiel Staatsanwalt) bezweifelt, muss der Proponent den Beweis von A antreten. Die dialogischen Regeln müssen nun für alle möglichen logischen Zusammensetzungen von Aussagen definiert werden: Behauptet der Proponent eine logische Konjunktion von zwei Aussagen, also A und B (formal: A ∧ B), dann muss er bei einem Angriff durch einen Opponenten sowohl A als auch B verteidigen bzw. begründen. Behauptet der Proponent eine logische Disjunktion, also A oder B (formal: A ∨ B), dann genügt es, wenn er wenigstens eine der beiden Teilaussagen A bzw. B begründen kann. Behauptet der Proponent die logische Negation von A, also nicht A (formal: ¬A), dann wird der Opponent in einer Widerrede A behaupten. Im Gegenzug muss dann der Proponent zeigen, dass die Annahme von A zu einem Widerspruch führt. Er muss also A widerlegen. Beispiel: Behauptet ein Angeklagter, nicht am Tatort gewesen zu sein (¬A) und der Staatsanwalt behauptet seinen Aufenthalt (A), dann muss der Angeklagte zeigen, dass die Annahme von A im Widerspruch zum Beispiel zu einer Zeugenaussage über seinen wahren Aufenthalt steht.

In den Wissenschaften werden häufig Behauptungen unter der Annahme von Bedingungen (zum Beispiel Rahmenbedingungen von Experimenten) aufgestellt. Das sind logische Folgerungen: Behauptet ein Wissenschaftler, dass unter der Voraussetzung A die Behauptung B gilt, also: Wenn A, dann B (formal: A → B), dann wird sein Gegner zwar die Prämisse A zugeben, aber eine Begründung von B unter der Annahme von A verlangen. Eine Aussage ist also wahr, wenn sie im Dialog verteidigt werden kann. Tatsächlich lässt sich so die formale Logik konsistent begründen. Darauf bauen die Wissenschaften auf.

Aber nicht nur die Wissenschaften wie die Mathematik mit ihren Beweisen, die Naturwissenschaften mit ihren Experimenten und die Sozialwissenschaften mit ihren Datenerhebungen sollten ihre Meinungsverschiedenheiten dialogisch austragen, sondern die Gesellschaft insgesamt. Nur so können wir der Vernunft zum Durchbruch verhelfen. Diese Idee ist uralt und mit den Anfängen der Demokratie in Athen verbunden. Es waren griechische Philosophen, die den Staat durch den Dialog der Bürger begründen wollten. Der scheidende amerikanische Präsident Barack Obama hat darauf kürzlich in Athen eindrucksvoll hingewiesen.

Aus gutem Grund: Der letzte amerikanische Wahlkampf und populistische Strömungen in Europa scheinen ein „postfaktisches“ Zeitalter einzuläuten: Statt Fakten, Begründung und Dialog geht es nur noch um Gefühle und Stimmungen. „Faktencheck“ wird ausdrücklich abgelehnt. Im Zeitalter der sozialen Medien sind Showeffekte und Quotensteigerung durch immer neue Reize (zum Beispiel Tabubrüche) wirkungsvoller als Argumente. Auch das ist nicht neu, sondern wurde bereits in Athen von den Gegnern der Philosophie geschickt eingesetzt. Nur laufen diese Prozesse heute in globalen Netzwerken ab. Das Ende des Dialogs und (damit) das Ende der Demokratie? Ja, wie die deutsche Geschichte zeigt, kann uns das am Ende drohen. Wir sollten daher den demokratischen Dialog selbstbewusst und offensiv vertreten. Dabei müssen wir diejenigen in die Schranken verweisen, die sich nicht an die Regeln halten: Dialog ist gut, aber nicht um jeden Preis!

Antwort von Sicco Lehmann-Brauns

Dialog hat Konjunktur. Die Anzahl von Dialog- und Plattformformaten an der Schnittselle von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik hat in den letzten Jahren in Deutschland, aber auch in der Europäischen Union, zugenommen. So gibt es einen Innovationsdialog der Bundesregierung, Bürgerdialoge des Forschungs- und Bildungsministeriums und auch ein Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin. Woran liegt diese Konjunktur neuer Dialogformate und wie funktionieren sie?

Angesichts der wachsenden Komplexität in der global vernetzten Wissensgesellschaft und vor allem angesichts der rasant voranschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf es sektorübergreifender Austauschformate, um mit dieser Komplexität möglichst angemessen umgehen zu können. Denn die Einsicht hat sich verbreitet, dass keines der ausdifferenzierten Teilsysteme der Gesellschaft seine Funktionalität wird erhalten können, wenn es sich nicht in den Austausch mit anderen Teil-systemen begibt. Oder etwas lapidar gesagt: Weder Wissenschaft noch Wirtschaft noch Politik – bzw. ihre jeweils feiner granularen Ausprägungen in Formen einzelner Disziplinen, Branchen oder Politiksegmente – werden den Zukunftsherausforderungen der Globalisierung und Digitalisierung gewachsen sein können. Zukünftig wird es vermehrt auf ihre Schnittstellen ankommen, um den Wandel unserer Lebenswelt angemessen gestalten zu können.

Die Konjunktur der Dialogformate ist daher aus meiner Sicht eine Reaktion auf die Transformation unserer Gesellschaft: Durch Globalisierung und Digitalisierung werden gesellschaftliche Teilsysteme wie Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, bzw. jeweils deren institutionelle Ausprägungen aufgrund zunehmender Vernetzung mit Anforderungen außerhalb ihres funktionalen Teilbereichs konfrontiert. Die Differenzierungstheorie der Gesellschaft wird durch den Trend zur vertikalen Vernetzung durch Digitalisierung, ebenso wie zur horizontalen Vernetzung durch Globalisierung, herausgefordert.

Auf diese Herausforderungen gibt es zwei grundsätzliche Reaktionsmöglichkeiten: Entweder wird sie verweigert, um weiterhin gemäß der eingeübten Binnenlogik des eigenen Teilsystems fortexistieren zu können. Oder sie wird angenommen, mit der Folge, dass eine Öffnung gegenüber den anderen Teilsystemen zugelassen und der Austausch mit ihnen eröffnet wird. Und schon sind wir beim Dialog als Bezeichnung sowohl der Art und Weise des Austauschs als auch seiner institutionellen Erscheinungsform im Sinne zum Beispiel der eingangs genannten institutionalisierten Dialog- oder Plattformformate.

Die Herausforderungen dieser Dialoge zwischen den einstmals primär ihren Eigenlogiken folgenden gesellschaftlichen Teilsystemen bestehen sowohl in Syntax, als auch in Semantik: Zunächst muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden, sowie ein akzeptiertes Regelwerk ihrer Verwendung. Wie notwendig aber auch wie kompliziert das ist, veranschaulicht beispielsweise das dreidimensionale Referenzarchitekturmodell RAMI 4.0. Es wurde entwickelt, um eine branchenübergreifende Syntax und Semantik für das Konzept Industrie 4.0 zu erarbeiten und diese in eine gemeinsame Standardisierung zu übertragen. Eine wesentliche Grundbedingung für das Funktionieren der digital vernetzten Industrie von morgen.

Der Blick auf die konkrete Arbeit dieser neuen Dialogformate und Plattformen zu wichtigen Zukunftsthemen wie Industrie 4.0, Elektromobilität oder der Stadt der Zukunft führt bisweilen zu ernüchternden Einsichten, wie schwierig es ist, eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Regelwerk zu finden. Sämtliche dieser Plattformen hatten bzw. haben daher ihre Anlaufschwierigkeiten. Diese sind wohl nicht zu vermeiden, sondern vielmehr als Chance zu begreifen, über die Binnenlogik ausdifferenzierter Teilsysteme hinaus, gemeinsam an gesellschaftlich wichtigen Themen zu arbeiten. Dabei ist es hilfreich, wenn die Prozesse der Dialog- und Plattformformate klar und transparent definiert sind und deren Einhaltung durch eine gründlich durchdachte Governance garantiert wird.

Dialog in diesem Sinne ist also eine zentrale Herausforderung der Gegenwart und Zukunft, um die gesellschaftlichen Chancen von Digitalisierung und Globalisierung ergreifen und gestalten zu können. Eine große Herausforderung dabei ist es, wie neben den Expertendialogen von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik auch die sogenannte Zivilgesellschaft in den Dialog über die Zukunftsthemen eingebunden werden kann. Hier spielt die Ausbildung von Urteilskraft und Dialogkultur eine wichtige Rolle. Wünschenswert ist es daher, Dialog auch durch ein stärker auf sektorübergreifenden Austausch, sozial-kommunikative Fähigkeiten und Reflexionen des digitalen Wandels ausgelegtes Bildungssystem vorzubereiten.