Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Logik, Moral und Welten
fatum 2 | , S. 19
Inhalt

Welten, Wissen und Handeln

Mit unseren Handlungen wirken wir auf die Zustände der Welt ein, während wir in unserer Erkenntnistätigkeit ständig darum bemüht sind, wahre Überzeugungen über die Zustände der Welt zu bilden, um ggf. dementsprechend zu handeln. Diesen Zusammenhang hat Elisabeth Anscombe in der Terminologie der „direction of fit“ beschrieben: Dass nämlich Überzeugungen der Welt anzupassen sind, während Wünsche die Tendenz entwickeln, dass die Welt ihnen angepasst wird. Eine genaue philosophische Analyse dieser strukturellen Asymmetrie zwischen Wünschen und Überzeugungen führt zur Diskussion einiger kritischer und verbreiteter Annahmen, die in der einen oder anderen Weise in dieser Beschreibung vorausgesetzt sind: Dass etwa Überzeugungen genau dann wahr sind, wenn sie mit der Wirklichkeit, mit den Zuständen der Welt, korrespondieren („Korrespondenztheorie der Wahrheit“); dass menschliche Handlungen grundsätzlich durch Wünsche und Überzeugungen motiviert werden („Humesche Motivationstheorie“); oder auch die Annahme, dass empirisches Wissen eine kausale Beziehung zwischen kognitivem Subjekt und Wirklichkeit voraussetzt („kausale Erkenntnistheorie“), so dass wir im Ergebnis sagen könnten, dass im Erkenntnisprozess die Welt auf uns einwirkt.

Den Zusammenhang zwischen Welten, Wissen und Handeln betrachten wir im Folgenden zuerst aus der allgemeinen Perspektive, die in den letzten sechzig Jahren durch die philosophische Theorie der möglichen Welten eröffnet worden ist. Diese Theorie hat zahlreiche Anwendungen auf philosophische Probleme und wirft mehrere Fragen auf. Als ein erstes Beispiel, das auch mit spezifischen Annahmen der Diskussion um die „direction of fit“ einigermaßen zusammenhängt, sei ihre Verwendung bei der Analyse des Begriffs der Kausalität erwähnt: Ein bestimmter Typ kausaler Relation, nämlich die Kausalität zwischen singulären Ereignissen („A verursacht B“, wo A und B einzelne Ereignisse sind, also keine Ereignistypen wie z.B. Laufen oder Rauchen), wird auf die Wahrheit des kontrafaktischen Konditionalsatzes „wenn A nicht stattgefunden hätte, würde B nicht stattfinden“ zurückgeführt, und die Wahrheitsbedingungen für diesen „irrealen“ Konditionalsatz werden – wie wir später sehen werden – anhand der Theorie der möglichen Welten erläutert.

Bekanntlich ist die Rede von möglichen Welten bereits bei Leibniz nachweisbar. Die Debatte um sie wurde aber im 20. Jahrhundert wesentlich angestoßen, zunächst, um die Wahrheitsbedingungen und, allgemeiner, um die Semantik modaler Sätze zu untersuchen, also von Sätzen formaler Sprachen, die mithilfe formaler Ausdrücke für „notwendig“ (im Folgenden „L“) und „möglich“ („M“) und mit den üblichen aussagen- und prädikatenlogischen Zeichen gebildet werden. Üblicherweise wird hier die Beziehung Mφ↔¬L¬φ, d.h. „φ ist möglich genau dann, wenn nicht-φ nicht notwendig ist“ vorausgesetzt. Solche logischen Systeme waren bereits auf rein syntaktischer Basis durch Clarence I. Lewis (1883-1964) eingeführt worden, um Konditionalsätze zu repräsentieren, die stärker sind als das übliche aussagenlogische Konditional und die Paradoxien zu vermeiden, zu denen es Anlass gibt.1

Im Kontext der Semantik der Modallogik ist die Theorie der möglichen Welten mit dem Namen von Saul Kripke verbunden, der den Terminus „possible world“ in diesem formalen Rahmen verwendet hat. In demselben Zeitraum oder etwas früher erfanden auch andere Logiker wie S. Kanger, J. Hintikka, aber auch R. Carnap vergleichbare Strukturen für die Analyse der Notwendigkeit und der Möglichkeit. Kripke gibt zunächst Axiome für die Charakterisierung der logischen Notwendigkeit an und definiert eine Struktur (G, K), die aus einem Bereich G (die aktuale Welt) und einer Menge K (Menge möglicher Welten, mit G ∈ K) besteht. Die logische Notwendigkeit definiert er – bekanntlich – als Wahrheit in allen Welten aus K, die logische Möglichkeit als Wahrheit in mindestens einer der Welten aus K. Die Axiome für die logische Notwendigkeit sind: (1) wenn ein Satz notwendig ist, dann ist er auch wahr (Lφ→φ), und (2) wenn ein Satz möglich ist, dann ist notwendig, dass er möglich ist (Mφ→LMφ). Später behandelt Kripke schwächere Formen der Notwendigkeit, für die nicht alle Axiome der logischen Notwendigkeit gefordert werden. In diesen Fällen wird die Struktur (G, K) um eine Relation R ⊆ K × K angereichert. Die Notwendigkeit in einer Welt k aus K oder in der aktualen Welt G wird als Wahrheit in allen Welten definiert, zu denen k (oder G) in der Relation R steht. Diese sind die sogenannten „R-zugänglichen“ („accessible“) Welten. Durch diese um die Relation R angereicherten Strukturen können nicht nur Notwendigkeit und Möglichkeit als Wahrheit in allen bzw. in einigen zugänglichen Welten definiert werden, sondern anhand der formalen Eigenschaften der Relation R kann auch der Anwendungsbereich der verschiedenen Axiome der Modallogik charakterisiert werden. So ist beispielsweise das Axiom Lφ→φ („wenn φ notwendig ist, so ist φ wahr“) in allen Strukturen wahr, in denen R auf K reflexiv ist, und das Axiom Lφ→LLφ, „wenn φ notwendig ist, dann ist notwendig, dass φ notwendig ist“, in allen Strukturen wahr, in denen R transitiv ist.

Diese Semantik eröffnet also Möglichkeiten zur formalen Repräsentation schwächerer Notwendigkeitsbegriffe und auch zur Repräsentation von Zusammenhängen, die mit denen der Notwendigkeit vergleichbar sind und weitere Lesarten von „notwendig“ und „möglich“ darstellen. Eine solche Lesart ist beispielsweise die zeitliche, wonach „notwendig p“ bedeutet „es ist immer (zu jedem Zeitpunkt) der Fall, dass p“. Zwei andere nicht auf den ersten Blick erkennbare Lesarten sind die beweistheoretische, wonach „notwendig p“ gelesen wird als „es ist beweisbar in der Peano-Arithmetik, dass p“, und die dynamische im Sinne von „nach der Terminierung von A ist p wahr“ (wo A Programm ist). Für die beweistheoretische Lesart gilt das Axiom Lφ→φ nicht, welches für die logische Lesart unbestritten ist, und welches hier besagt, wenn φ beweisbar ist, dann ist φ wahr.

Problematisch, und man muss sagen, immer noch offen, ist die Frage, ob die Lesarten von „notwendig“ im Sinne von „metaphysisch notwendig“ oder von „physikalisch notwendig“ oder auch im Sinne von „analytisch notwendig“ (also als notwendig aufgrund von Bedeutungszusammenhängen sprachlicher Ausdrücke) innerhalb der Semantik der möglichen Welten nach Kripke von der logischen Notwendigkeit durch besondere Axiome oder Strukturen unterschieden werden können.

Die bisher erwähnten Modalitäten werden als „alethisch“ bezeichnet (gr. „aletheia“ für „Wahrheit“).

Unter den weitergehenden Interpretationen von „φ ist notwendig“ sind hier drei von besonderem Interesse: Die Interpretation von „notwendig“ im Sinne von „φ wird gewusst“, die Interpretation im Sinne von „φ wird geglaubt“ (im Sinne des Überzeugt-seins) und die Interpretation im Sinne von „φ ist geboten“, die im Unterschied zu den alethischen als „epistemisch“, „doxastisch“ und „deontisch“ bezeichnet werden.

Wenn wir „notwendig“ im Sinne von „ist gewusst“ verstehen, werden wir – zumindest nach der Standard-Interpretation von „Wissen“ – annehmen, dass, wenn etwas gewusst wird, es dann auch wahr ist; also dass das bereits erwähnte Axiom Lφ→φ nach dieser Lesart gilt. Dieses Axiom werden wir aber nicht akzeptieren, wenn wir L als „geglaubt“ oder „geboten“ lesen, denn nicht alles, was geglaubt wird, ist auch wahr und nicht alles, was geboten wird, wird auch realisiert. Außerdem ist für das Wissen der Begriff, der dem Möglichen entspricht, der Begriff der Kompatibilität mit dem, was gewusst (geglaubt) wird, während der dem Geboten-sein korrespondierende Möglichkeitsbegriff das Erlaubt-sein ist. Anstelle des hier inadäquaten Axioms „was geboten ist, ist auch wahr“, wird im Fall der deontischen Interpretation der Satz „was geboten ist, ist erlaubt“ (Lφ→M) als Axiom eingeführt. Kants bekannter Satz „Sollen impliziert Können“ ist aber zu diesem Axiom nicht äquivalent, weil er Modalitäten unterschiedlicher Kategorien verbindet (da hier „können“ nicht im Sinne von „erlaubt“ sondern im alethischen Sinne von „möglich“ verwendet wird) und damit „multimodal“ ist.

Bei der epistemischen und doxastischen Interpretation von „notwendig“ als gewusst bzw. als geglaubt entsprechen die möglichen Welten den Überzeugungszuständen kognitiver Subjekte, und die Relation R drückt Alternativen zu der aktualen Welt für ein Erkenntnissubjekt s aus: Dass s den Satz φ weiß (oder glaubt), bedeutet, dass φ in allen Welten wahr sind, die bzgl. s Alternativen zu der aktualen Welt sind; dass s den Satz φ für möglich hält, bedeutet, dass φ in mindestens einer Alternative wahr ist. Das Axiom Lφ→LLφ wäre im Fall von Wissen zu lesen: Wenn man φ weiß, dann weiß man, dass man φ weiß („positive Introspektion“); während das Axiom Mφ→LMφ unter der Wissensinterpretation bedeutet: Wenn man φ nicht weiß, so weiß man, dass man φ nicht weiß („negative Introspektion“).

Fraglich ist nun, wie die möglichen Welten und die Relation R unter einem Verständnis von „notwendig“ als „geboten“ zu interpretieren sind. Die möglichen Welten versteht man in diesem Fall häufig als „ideale“ Welten. Die Relation R zwischen Welten w und w⁠′ besteht dann, wenn durch Handlung von Individuen, die sich in der Welt w befinden, die Welt w⁠′ erreicht werden kann, die gegenüber w ideal ist. Das ist eine ziemlich plausible Interpretation der Zugänglichkeit als Handlungsmöglichkeit oder Machbarkeit. R ist also in diesem Fall wesentlich enger zu fassen als die metaphysische oder die physikalische Möglichkeit und erst recht als die logische Möglichkeit.

Die Terminologie der möglichen Welten und zugehörige theoretische Konstruktionen finden darüber hinaus auf weitere Probleme Anwendung, die nicht mit der Interpretation von „notwendig“ und „möglich“ zu tun haben, beispielsweise auf die Theorie der Eigenschaften oder auf die Semantik natürlicher Sprachen. Zwei Eigenschaften, die in der aktualen Welt auf dieselben Objekte zutreffen, wie die Eigenschaft, ein Lebewesen mit Herz zu sein, und die Eigenschaft, ein Lebewesen mit Nieren zu sein, unterscheiden sich dadurch, dass es mögliche Welten gibt, in denen das nicht der Fall ist. Entsprechend werden Propositionen als Mengen von möglichen Welten charakterisiert.

Ein anderes Thema ist auch die Repräsentation und Interpretation kontrafaktischer Konditionalsätze wie „wenn A der Fall wäre, dann wäre B der Fall“. Hier hat David Lewis (1941-2001) das Schema vorgeschlagen, dass ein solches Konditional in einer Welt w dann wahr ist, wenn es eine zu w ähnliche Welt w⁠′ gibt, in der A gilt, und B in allen Welten u gilt, die zu w gleich ähnlich sind wie w⁠′ (oder ähnlicher).

Es stellen sich nun zwei (vieldiskutierte) Fragen, nämlich die nach der Natur der möglichen Welten und die nach dem wirklichen Nutzen, d.h. nach dem Erklärungspotential, der Annahme ihrer Existenz. Wenn die Theorie auf die Semantik für formale Sprachen der Modallogik beschränkt wäre, könnten die möglichen Welten als bloße Punkt- oder Indexmengen angesehen werden. Außerdem können diese Interpretationen von „Welt“ wenig zur Erklärung der Begriffe der Notwendigkeit und Möglichkeit beitragen – außer im rein logischen Sinne.2 Für die Beantwortung dieser Fragen nach der Natur und der Erklärungskraft erscheinen also Anwendungen auf andere Notwendigkeitsbegriffe und auf besondere Themen wie Wissen, Eigenschaften oder Handeln entscheidend.

David Lewis plädierte für eine realistische Interpretation dieser Annahme, wonach mögliche Welten konkrete Entitäten sind, die in derselben Weise existieren wie die aktuale Welt, aber gegenüber der aktualen Welt und zueinander kausal abgeschlossen (also isoliert) sind („modaler Realismus“). Weil sie konkret sind, bilden sie das Ganze (oder die „mereologische Summe“) der in ihnen befindlichen Individuen; diese sind Teile von möglichen Welten, die insofern maximal sind. Weil aber nach dieser Auffassung alle möglichen Welten gleich real sind, kann kein Individuum mehreren möglichen Welten angehören, sondern für jedes Individuum gibt es in einigen möglichen Welten ein zu ihm hinreichend ähnliches Gegenstück („counterpart“). Das Wort „actual“ als Attribut von „world“ ist dann indexikalisch und bezieht sich auf die Welt, in der wir uns befinden und die sich von anderen möglichen Welten bzgl. ihrer Existenzweise nicht unterscheidet.

Andere metaphysisch weniger ambitionierte Vorschläge betrachten mögliche Welten als abstrakte (unanalysierbare oder aus anderen Abstrakta zusammengesetzte) Entitäten oder als kombinatorische Gebilde aus Elementen der aktualen Welt, als sprachliche Konstruktionen (z.B. maximal konsistente Satzmengen) oder schließlich als Fiktionen, so dass im letzten Fall Sätze über mögliche Welten, z.B. von der Art, dass φ in Welt w der Fall ist, restlos in Sätze der Form „laut der Geschichte/Theorie T ist φ der Fall“ zu übersetzen sind. In allen diesen Ansätzen bezeichnet „aktuale Welt“ eine sich durch ihre Existenzweise von anderen Welten unterscheidende Welt bzw. die einzige Welt („aktualistischer Realismus“ bzw. „modaler Fiktionalismus“). Ein und dasselbe Individuum kann aus der Sicht dieser Theorien in mehreren Welten auftreten und mögliche Welten sind in gewissem Sinne Varianten einer und derselben (aktualen) Welt.

Lewis, der bestreitet, dass der modale Realismus dem Common Sense widerspricht, denkt, dass philosophische Theorien (über Wissen, mentale Inhalte, Eigenschaften, Propositionen, kontrafaktische Konditionale etc.) den modalen Realismus in ähnlicher Weise voraussetzen wie die Mengenlehre in mathematischen Theorien vorausgesetzt wird, was als guter Grund für die Annahme der Existenz von Mengen betrachtet wird.3

Ferner setzt er sich mit zahlreichen Einwänden gegen diese Konzeption des modalen Realismus auseinander. Dazu gehören die Thesen bzw. Fragen, dass (a) unter der Prämisse des modalen Realismus die Unterscheidung zwischen „aktual“ und „möglich“ eigentlich entfallen sollte, (b) (vermeintliche) Schwierigkeiten, die mit der Umfassendheit (Maximalität) der Welten und den Kardinalitäten der existierenden Objekte zusammenhängen, (c) ob und wie man erkennen könnte, was in anderen Welten der Fall ist, (d) dass diese Theorie zum Skeptizismus führt (da unendlich viele Welten real sind, in denen etwas wahr ist, was „hier“ in dieser Welt nicht der Fall ist), (e) dass sie zur moralischen Gleichgültigkeit führt (aus ähnlichen Gründen wie bei (d), da, egal was man tut, immer irgendwelche Welten real sind, in denen es ganz übel zugeht), (f) dass der modale Realismus mit dem Anschein nicht vereinbar ist, dass bestimmte Tatsachen zufällig sind und dass er dem Common Sense widerspricht.

Um die Diskussion solcher Probleme des modalen Realismus näher zu beleuchten, betrachten wir hier die Interpretationen von L als „moralisch geboten“ näher: Eine Instanz von „φ ist moralisch geboten“ („erlaubt“) ist in der Welt w wahr, wenn in jeder (bzw. in mindestens einer) in Bezug auf w idealen Welt φ wahr ist. Auch ideale Welten wären aus der Sicht des modalen Realismus mögliche Welten, und daher ebenso real wie die aktuale Welt, aber von ihr isoliert. Nun führen menschliche Handlungen zur Realisierung verschiedener Möglichkeiten; sie führen dazu, dass die aktuale Welt den Wünschen, Überzeugungen oder Zielen kognitiv-praktischer Subjekte angepasst wird, und insbesondere den Normen und Werten, die diese Subjekte anerkennen. In dem Fall moralischen Handelns sehen sich die kognitiv-praktischen Subjekte als verpflichtet an, in bestimmter Weise zu handeln. Dass eine Welt w⁠′ in Bezug auf die aktuale Welt ideal ist, bedeutet, dass es besser wäre, wenn die aktuale Welt genauso wäre wie w⁠′, und je ähnlicher sie w⁠′ ist, desto besser.

Was bedeutet aber nach dieser Theorie, dass menschliches Handeln Möglichkeiten realisiert? Es kann nicht bedeuten, dass dadurch eine andere Welt aktual wird sondern nach Lewis nur, dass die aktuale Welt einer möglichen Welt ähnlicher wird. An dieser Stelle setzt Kritik an, denn dies erfordert eine gewisse Revision unserer Rede von Möglichkeiten: Normalerweise fassen wir Möglichkeiten als etwas auf, das in der aktualen Welt irgendwie angelegt ist. Aber ein möglicher Verlauf der aktualen Welt w ist nach der Theorie nichts anderes als ein realer Verlauf einer möglichen Welt w⁠′, die mit w identisch sein mag, wenn dieser Verlauf in w stattfindet, aber nicht identisch sein muss, wenn z.B. die Ähnlichkeit des Verlaufs erst ab einem bestimmten Zeitpunkt auftritt.

Fraglich ist hier zunächst, welche Rolle die Zeit spielt. Es ist nicht angebracht, eine gemeinsame Zeit für alle logisch möglichen Welten oder auch nur für alle physikalisch ähnlichen Welten anzunehmen; aber fürs Handeln relevante Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Welten setzen eine fundamentale Ähnlichkeit in Bezug auf die physikalische Struktur der Welten voraus, zwischen denen solche Beziehungen in Betracht kommen. Für solche Ähnlichkeitsbeziehungen werden also bestimmte Vorgaben erforderlich sein, z.B. gleichartige raumzeitliche Struktur und gleichartige fundamentale physikalische Entitäten sowie gleiche Naturgesetze. Das Bestehen einer Korrespondenzrelation zwischen den raumzeitlichen Systemen verschiedener Welten, anhand deren Ereignisse in diesen Welten verglichen und lokalisiert werden, muss als primärer, nicht weiter analysierbarer Zusammenhang gefordert werden. Die Aussage, dass zu dem Zeitpunkt t in w das Ereignis E stattfindet, ist in die zeitlose Aussage zu übersetzen, dass in w das Objekt (t, E) besteht, und die Ähnlichkeit zu w⁠′ kommt an diesem Punkt durch die Existenz in w⁠′ eines korrespondierenden, ähnlichen Objekts (t⁠′, E⁠′) zustande. Diese Konstruktion des möglichen Verlaufs in der aktualen Welt wirft die Frage auf, ob der modale Realismus zu einem strikten Determinismus führt. Lewis scheint dies zwar zu verneinen, es ist aber fraglich, ob die Theorie die Ressourcen bereitstellt, diese Folge wirklich zu vermeiden oder negativ zu beantworten. Dass die Zukunft unbestimmt ist, bedeutet nur, dass wir nicht wissen, in welcher Welt wir uns befinden.4

Anhand der Idee der idealen Welten lässt sich ein weiterer interessanter Zusammenhang demonstrieren: Warum bedeutet für uns die Tatsache, dass sich in einigen möglichen Welten – nämlich in den idealen – bestimmte Vorgänge ereignen und gewisse Zustände bestehen, überhaupt etwas? Diese Welten haben gewiss einen intrinsischen Wert und auch den Effekt, dass ihre Existenz uns verpflichtet und im idealen Fall auch motiviert, hier das zu realisieren, was dort Realität ist. Aber wie kommt dieses Resultat zustande, wenn diese Welten konkrete maximale Objekte sind, die irgendwo isoliert existieren? Das ist ein besonderer Fall des Einwands, dass die Aussage, dass in einer (im Sinne des modalen Realismus verstandenen) möglichen Welt ein Ereignis E geschieht, nicht bedeutet und nicht ohne Weiteres erklären kann, dass E in der aktualen Welt möglich ist. Der modale Realismus könnte darauf erwidern, dass, wenn etwas „irgendwo“ (d.h. in einer hinreichend ähnlichen möglichen Welt) real ist, es auch hier möglich ist; aber natürlich ist dies nicht der einzige Weg, wie wir auf Möglichkeitsaussagen kommen, und lässt zunächst nur den Schluss auf die Möglichkeit von E in dieser anderen Welt zu. Dass E auch in der aktualen Welt möglich ist, erfordert eine nähere Spezifikation der „hinreichenden Ähnlichkeit“.

Im Fall der Realisierung in idealen Welten kommt das Problem des Sein-Sollen-Übergangs dazu: Warum soll die Wahrheit einer Seins-Aussage in einer idealen Welt die Wahrheit einer Sollens-Aussage in der aktualen Welt implizieren? Dieser Übergang setzt eine Interpretation von „ideal“ voraus, die von Bewertungen und Urteilen über Objekte und Zustände der aktualen Welt in der aktualen Welt wesentlich abhängt.

Diese Überlegungen ermöglichen zunächst den Schluss, dass die Übertragung der Theorie der möglichen Welten auf die Moral und auf das Handeln durch Auszeichnung einer echten Teilklasse der Klasse der möglichen Welten als „ideal“ nur eine Modellierungstechnik darstellt, die keine Folgen für die Analyse der moralischen Erkenntnis impliziert. Außerdem scheint es, dass der modale Realismus in einigen Fällen auch zu einer Revision der Bedeutung von Möglichkeitsaussagen führt. Bemerkenswert ist schließlich, dass in der kritischen Analyse des modalen Realismus drei philosophische Probleme eine zentrale Rolle spielen, die als besonders hart und unübersichtlich bezeichnet werden können – z.B. im Verhältnis zu der Frage, was wir wissen können oder ob und welche fundamentale Entitäten es gibt. Diese drei harten Probleme sind das für jede Theorie modaler Strukturen zentrale auf Platon zurückgehende Problem der Bezugnahme auf das Nichtseiende, das Problem der Zeit und das Problem von Freiheit und Determinismus.

Literatur

Robert Goldblatt: Logics of Time and Computation, Stanford, 1992.

Hughes/Cresswell: A New Introduction to Modal Logic, Oxford, 1996.

Saul Kripke: “A Completeness Theorem in Modal Logic”, Journal of Symbolic Logic, 24, 1959, 1–14.

Saul, Kripke: “Semantical Analysis of Modal Logic I. Normal Modal Propositional Calculi”, Zeitschrift für mathematische Logik und Grundlagen der Mathematik, Bd. 9, 1963, 67–96.

Imaguire/Jacquette (Hg): Possible Worlds, München, 2010.

Lewis/Langford: Symbolic Logic, 1932.

David Lewis: Counterfactuals, Harvard, 1973.

David Lewis: On the Plurality of Worlds, Oxford, 1986.

Graham Priest: An Introduction to Non-Classical Logic. From If to Is, 2. Auflage, Cambridge, 2008.


  1. Eine Paradoxie des aussagenlogischen „materialen“ Konditionals kann leicht anhand eines der kürzesten denkbaren Gottesbeweise demonstriert werden: „Es ist nicht der Fall, dass wenn es Gott gibt, die Gebete böser Menschen Gehör finden; also gibt es Gott“ (nach G. Priest). Die Prämisse ist zweifellos plausibel und der Schluss aussagenlogisch gültig.
  2. Die häufig verwendete Bezeichnung von möglichen Welten als „Weisen, wie die Welt sein könnte“, ist nur eine vortheoretische Beschreibung, mit der keine philosophische Erklärung beabsichtigt wird. Ein anderer Einwand besagt, dass an sich die Idee der möglichen Welten schon deswegen ein geringes Potential speziell für die Erklärung der Natur von Notwendigkeit und Möglichkeit besitzt, weil der Ausdruck „möglich“ bereits in dem Ausdruck „mögliche Welt“ auftritt. Diesen Einwand mit der Bemerkung zurückzuweisen, dass die Theorie nur die Bereitstellung einer formalen Semantik für die Modallogik oder auch für einige philosophische Theorien anstrebt, bedeutet im Wesentlichen, ihn im Ergebnis zu bestätigen. Der Einwand übersieht überdies den Punkt, dass die Bedeutung von „möglich“ in „mögliche Welt“ durch die jeweils vorausgesetzte Theorie über die Natur der möglichen Welten spezifiziert werden soll, und insofern eine technische ist. Die entscheidende Frage bzgl. des Erklärungspotentials betrifft also genau die Leistungsfähigkeit dieser Theorien.
  3. Dies erinnert an das „indispensability“-Argument in der Philosophie der Mathematik. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass bei der Theorie der möglichen Welten doch keine wissenschaftlichen (oder auch mathematischen) Theorien im Spiel sind, für die der Begriff der möglichen Welt unentbehrlich wäre, sondern eben philosophische Theorien. Insofern lassen sich Prämissen, die eine Überlegenheit unserer „besten Theorien über die Welt“ gegenüber philosophischer Spekulation ausdrücken, nicht unmittelbar anwenden. Lewis’ allgemeine Überlegung ließe sich jedoch als ein Argument aus den ontologischen Festlegungen („commitments“) dieser philosophischen Theorien ohne die Analogie zur Mengenlehre rekonstruieren. Außerdem scheinen diese Argumente (auch die Analogie zum Indispensability-Argument bzgl. mathematischer Objekte) nicht den modalen Realismus direkt zu stützen sondern überhaupt irgendeine Art der Existenz möglicher Welten. Diese könnten also eventuell eine nur aktualistisch-realistische (oder nach Lewis: eine „ersatzistische“) Theorie der möglichen Welten sein, in der die Welten, wie die Mengen, abstrakte Objekte sind, aber nicht eine fiktionalistische.
  4. Nach Lewis würde vermutlich der Determinismus, wenn überhaupt, dann aus den physikalischen Gesetzen in den zu vergleichenden Welten und nicht aus den modalrealistischen Annahmen der Theorie folgen. Dies kann man aber bestreiten. Auch auf der Grundlage einer indeterministischen Physik würde es in w zu einem bestimmten Zeitpunkt t nur eine Zukunft geben, und jede andere „mögliche“ Entwicklung würde in einer anderen Welt auftreten.

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