Gewinner der Karl Max von Bauernfeind-Medaille 2016
Dialog
fatum 5 | , S. 84
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Emojis ftw*

Was leisten politisch korrekte Emojis für einen gerechteren Online-Dialog?

Am 1. August hat Apple Informationen zu seinem neuen mobilen Betriebssystem iOS 10 vorgestellt. Neben anderen Features sollen auch neue Emojis Kommunikationsmöglichkeiten erweitern und vor allem politisch korrekter machen. Emojis sind kleine Symbole die helfen sollen, Emotionen in textbasierter Kommunikation auszudrücken und auf das Smiley zurückführen.** Seit Herbst surfen auch weibliche Emojis in unterschiedlichen Hautfarben, stemmen eine Langhantel oder tragen einen gelben Bauhelm. Es existieren auch alleinerziehende Eltern-Emojis und eine Wasserspritzpistole ersetzt die klassische Handfeuerwaffe. Anfang August wurde ebenfalls ein neuer Gesetzesentwurf mit EU-Vorgaben zur Netzneutralität verabschiedet. Dieser soll dafür sorgen, dass alle übertragenen Daten von den Internetanbietern gleich behandelt werden müssen, also kein Datenpaket einem anderen bevorzugt wird. Somit soll beispielsweise der Mailverkehr des Durchschnittsbürgers, sowie der Datenverkehrzwischen Netflix und einer PremiumkundIn gleich behandelt werden. Für die unzulässige Drosselung von Daten drohen Strafen von bis zu 500.000€ Euro.1

Während Apple sich gegen verbindliche Regelungen zur Zusammenarbeit mit der Polizei sträubt, setzt sich das Unternehmen gemeinsam mit dem Unicode Konsortium für politisch korrekte Emojis ein. Facebook lässt Hasskommentare, sowie rassistische oder menschenverachtende Inhalte von eigens dafür engagierten Unternehmen von seinen Seiten entfernen.2

Ist das also die neue Form von Gerechtigkeit – politisch korrekte Emojis, gleich viel Netz für alle und eine länderspezifische Ausblendung von unerwünschten Inhalten? Gerechtigkeit, eigentlich ein klassisches Thema der (politischen) Philosophie, wird nun mit grundsätzlichen Fragen der Informationsethik vermengt. Die Ethik versucht im Allgemeinen Normen und Werte zu definieren und Handlungsfehler ausfindig zu machen, anhand denen dann ein großer Ethikkatalog formuliert werden kann, der sagt: Das ist gut, das ist schlecht. Das tu mit gutem Gewissen und das lass lieber sein. Doch wie so oft in der Philosophie lässt sich nur eines sicher sagen: Es ist kompliziert.

Auch politische Philosophie ist nicht eindeutig. Beschäftigt man sich mit der Frage Was ist Gerechtigkeit? so stößt man auf unzählige Positionen. Man kann sich an klassisch liberale Persönlichkeiten wenden und Gerechtigkeit ähnlich wie Rawls, Nozick oder Locke definieren. Gerechtigkeit heißt Gleichverteilung. Gerechtigkeit heißt unverhandelbare Rechte besitzen. Gerechtigkeit heißt keine Anhäufung von verderblichen Gütern. Hieße das im Umkehrschluss, dass sobald jedes Individuum über einen bezahlbaren Internetzugriff verfügt, der dazu an dessen Bedürfnisse angepasst ist, existiert Vernetzungsgerechtigkeit?

Wie könnte festgelegt werden, dass jedem auf der Welt gleich viel Netz zur Verfügung steht, wenn noch nicht einmal die gerechte Verteilung von Trinkwasser gewährleistet ist? Welche aufgebrachte Facebooknutzerin gleicht ihre wütende Antwort vor dem Klick auf den Kommentieren-Button schon mit den Ratschlägen des Deutschen Knigge-Rats zu souveränem Verhalten auf Facebook ab?3 Geht es bei Gerechtigkeit im Internet nur um die gerechte Verteilung von Ressourcen oder auch um den Umgangston?

Zumindest eines ist sicher festzuhalten: Das Internet umgibt uns jederzeit. Im Büro, zuhause und unterwegs, selbst wenn wir kein Smartphone und keinen Laptop dabei haben oder gar besitzen, beeinflusst die technische Kommunikations-Infrastruktur unser Leben. Gerade deshalb ist es auch so wichtig über ethisch-politische Fragen der Informations- und Kommunikationstechnik nachzudenken.

Seit Beginn der extensiven Nutzung des Internets, existieren verschiedene Auffassungen von (Online-) Gerechtigkeit. Vor über zwanzig Jahren, am 8. Februar 1996, verkündete John Perry Barlow, die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace als eine Reaktion auf eine Deregulation des Telekommunikationssektors zu Gunsten großer Konzerne und einer Einschränkung der Redefreiheit zum Schutz der Jugend. Er fordert die Freiheit von Information und begründet seine Argumentation durch die Gedanken John Lockes: In unserer Welt darf alles, was der menschliche Geist erschafft, kostenfrei, unendlich reproduziert und distribuiert werden.4 Das Beispiel zeigt, wie zwei unterschiedliche Auffassungen von Gerechtigkeit kollidieren.

Bild eines farbigen Smartphones mit einer Whatsapp Konversation, bei der gerade ein Emoji mit dunkler Hautfarbe ausgewählt wird, vor schwarz-weißem Hintergrund.
Kommunikation per Smartphone, Bild: Sarah Frank

Die heutige Zentralisierung durch Google und Facebook, die sich am freien Austausch von Information bereichern, unterstreicht den Idealismus der Barlows Forderung innewohnt. Auch wenn Open Source Bewegungen Software erstellen, die sie für die Allgemeinheit freigeben, können lange nicht alle Informationen als Gemeingüter deklariert werden. Musik, Bilder, Kunst, aber auch Texte und Nutzerdaten haben so gut wie immer eine UrheberIn, deren Rechte ebenfalls schützenswert sind. Eine allgemeine Klassifizierung von Information als Gemeingut erspart zwar Schwierigkeiten einer Bewertung von Informationen, doch stößt auch auf Probleme. So einfach kann es also leider nicht sein.

Ein praktisches Beispiel für ein kleines bisschen mehr Gerechtigkeit im Internet tragen viele in ihren Hosentaschen und Rucksäcken, vielleicht sogar ohne zu bemerken, dass sich etwas verändert hat.

Im Unterschied zu Emoticons, welche aus ASCII-Zeichen völlig frei erstellbar sind, sind Emojis hingegen eine institutionalisierte Form der Sprache. Um ein neues Emoji zu beantragen, muss man sich an das Unicode-Konsortium in den USA wenden – ein Zusammenschluss aus Web-Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen. Während das Unicode-Konsortium in der Vergangenheit meist für seine mangelnde Diversität kritisiert wurde, werden Emojis langsam differenzierter. Neben hellhäutigen alten Männern oder Prinzessinnen gibt es erst seit 2014 fünf verschiedene Abstufungen der Hautfarbe der kleinen Gesichter. Nun sollen Geschlechterstereotype weiter aufgebrochen und mehr Menschen vertreten werden. Ein Emoji mit Kopftuch soll folgen.

Doch was leisten diese politisch korrekten Emojis nun für Gerechtigkeit im Internet? Ist es wirklich sinnvoll sich mit mehr weiblichen, homosexuellen oder alleinerziehenden Emojis zu beschäftigen, wenn in der Demokratischen Republik Kongo weit unter 1 % Internetzugriff haben?

Natürlich ist es weitaus bedeutender das globale Digitale Gefälle auszugleichen und so für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Doch stellt sich hier wiederum die Frage, ob Internetzugriff in einigen Teilen Afrikas überhaupt von Belang ist, wenn man bedenkt, dass beispielsweise im Königreich Lesoto knapp 30 % der Erwachsenen vom HIV-Virus infiziert sind und die durchschnittliche Lebenserwartung bei 37,5 Jahren liegt.5 Die Bedeutung moderner Kommunikationstechnik für Gerechtigkeit relativiert sich offensichtlich sehr schnell. Warum also in stärker digitalisierten Ländern nicht auch über geschlechterstereotype Emojis nachdenken. Denn obwohl schwerwiegendere, globale Probleme existieren und die Sterblichkeitsrate durch AIDS in Afrika unerträglich hoch ist, machen Emojis für viele Menschen der Welt einen wichtigen Teil ihrer Sprache aus und tragen zur Akzeptanz und Reflektion der pluralen Weltbevölkerung bei.

Das Emoticon ist im Internet längst fester Teil der Sprache geworden. Vor allem wenn man einen bestimmten Sprachraum verlässt, ist zu beobachten, dass neben der englischen Sprache Emoticons als allgemeine Hilfskonstruktion für emotionale Ausdrücke verwendet werden.6 Emoticons helfen somit, Sprachbarrieren zu überbrücken. Dasselbe wird für das Emoji angenommen. Auch wenn einige Sprachwissenschaftler Emojis als Zeichen des Verfalls der Sprache interpretieren, so ist Sprache doch ein komplexer Prozess.7 Wissenschafltiche Diskurse, Lyrik, Romane, Jugendsprache, Interviews mit berühmten Persönlichkeiten oder private Gespräche – Sprache wird kontextabhängig verwendet und jeder kann selbst entscheiden, wann Emojis benutzt werden. Festzustellen bleibt, dass Emoticons und Emojis etwas schaffen, was Esperanto, die Welthilfssprache, nicht im gleichen Ausmaß schafft: Grenzen überwinden. Die „Sprache“ der Emojis muss weder lange erlernt werden, noch bestehen bedeutende kulturelle Unterschiede. Ein Mensch in Tansania wird ein Ski-Emoji wohl selten nutzen, doch sind die basalen menschlichen Emotionen die gleichen. Diversere Emojis können zudem dabei helfen, bestimmte westliche Werte nicht als Universalmodelle zu propagieren, sondern diese in einen Dialog zu stellen. Denn das Internet unterstützt die Oktroyierung westlicher Werte auf nicht-westliche oder gar anti-westliche Zivilisationen, was zu einer Verstärkung der Konfrontation führen kann.8Je diverser Emojis werden, desto besser. Zu kritisieren bleibt jedoch die institutionelle Bindung an das Unicode-Konsortium, eine wenig diverse Gruppierung.

Eine geschlechtergerechtere Sprache soll vor allem dazu führen, Stereotype aufzubrechen und Menschen sensibler für ihren Sprachgebrauch und deren Wirkung zu machen. Und doch spaltet dieser Ansatz die Lager. Gegenargumente zu geschlechtergerechter Sprache finden sich viele. Frauen sind in der männlichen Form immer „mitgemeint“. Sprache ist, wie sie heute besteht, Teil der Geschichte. Texte werden durch geschlechtergerechte Sprache schwer lesbar. Sprachliche Ökonomie und Ästhetik werden durch geschlechtergerechte Sprache vernachlässigt und Frauen haben doch größere Probleme als sprachliche Kleinlichkeiten. Trotz alledem zeigt eine Studie der FU Berlin, dass Kinder typisch männliche Berufe bei der Nennung der männlichen und der weiblichen Form als erreichbarer einschätzen. Dazu wurden in zwei Experimenten fast 600 Grundschulkinder dazu aufgefordert, die Erreichbarkeit von Berufen zu bewerten.9 Ein Forschungsprojekt der TU München zeigt, dass sich Frauen von Stellenausschreibungen für „männliche“ Positionen abgeschreckt fühlen.10 Ob dasselbe auch für geschlechtergerechte Emojis gilt, hat noch keine Studie untersucht. Emojis, diese scheinbar unwichtigen Kommunikationsbestandteile, sind nichtsdestotrotz ein grundlegender und vor allem grenzübergreifender Faktor für Ethik bezüglich Kommunikation im Internet. Gerechtigkeit äußert sich schlussendlich auch darin, dass alle das gleiche Recht auf freie Identitätsbildung haben. Diese passiert unter anderem durch freien, gerechten Sprachgebrauch, wie beispielsweise politisch korrekte Emojis. Deshalb sind Emojis wichtig für Gerechtigkeit, auch wenn sie sicher nicht der Impfstoff gegen AIDS sind.


  1. Zeit Online, Bundesregierung droht Internetprovidern mit Bußgeldern (Zeit Online, 2016), http://www.zeit.de/digital/internet/2016-08/netzneutralitaet-internet-bundesregierung-reform-bussgeld-anbieter-telekommunikationsgesetz (aufgerufen: 15. August 2016).
  2. Jessica Binsch, Facebook sperrt mehr Kommentare als je zuvor (Süddeutsche Zeitung Online, 2016), http://www.sueddeutsche.de/digital/transparenzbericht-facebook-sperrt-doppelt-so-viele-hasskommentare-1.2973915-2 (aufgerufen: 16. August 2016).
  3. Agnes Jarosch, Auf Facebook blamiert? So reagieren Sie souverän! (Deutscher Knigge-Rat, 2015), http://knigge-rat.de/auf-facebook-blamiert-reagieren-sie-souveraen/ (aufgerufen: 16. August 2016).
  4. Johannes Thumfart zitiert nach John Perry Barlow (1996), Von der Freiheit der Information, (Zeit Online, 2011), http://www.zeit.de/digital/internet/2011-02/barlow-internet (aufgerufen: 29. August 2016).
  5. Rupert M. Scheule, Das ‚Digitale Gefälle‘ als Gerechtigkeitsproblem in Informatik Spektrum (Berlin: Springer Verlag, 2005), 474–488.
  6. Thomas Hausmanninger und Rafael Capurro, Netzethik. Grundlegungsfragen der Internetethik (München: Fink, 2002), 116–121.
  7. Jonathan Jones, Emoji is dragging us back to the dark ages – and all we can do is smile (The Guardian), https://www.theguardian.com/artanddesign/jonathanjonesblog/2015/may/27/emoji-language-dragging-us-back-to-the-dark-ages-yellow-smiley-face (aufgerufen: 30. August 2016).
  8. Thomas Hausmanninger und Rafael Capurro, Netzethik. Grundlegungsfragen der Internetethik (München: Fink, 2002), 116–121.
  9. Dries Vervecken und Bettina Hannover, Yes I Can! in Social Psychology , (Hogrefe Publishing, 2015), 76–92.
  10. Tanja Hentschel et al., Wording of Advertisements Influences Women’s Intention to Apply for Career Opportunities (TU München) https://www.tum.de/en/about-tum/news/press-releases/short/article/31438/ (aufgerufen: 10. September 2016).

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