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Intuitiv scheint man der eigenen Familie, den Freunden oder dem Partner mehr zu schulden als wildfremden Menschen. In der Regel gehen wir von der Annahme aus, man habe besondere (moralische) Verpflichtungen gegenüber den Menschen, die einem nahestehen. Die Moralphilosophie prägt dagegen eine unparteiische Moral, die die Anerkennung von besonderen Verpflichtungen problematisch macht. Einerseits kann man nicht leugnen, dass man gegenüber manchen Menschen besondere, über die allgemeinen moralischen Pflichten hinausgehende Verpflichtungen hat. Andererseits tut man sich schwer, diese im moralischen Kontext zu begründen und eindeutig gegenüber den allgemeinen Pflichten abzugrenzen.

Zwei Fragen bringen uns bei der Untersuchung dem Wesen besonderer Verpflichtungen näher: Wie wichtig ist eine freiwillige Basis der persönlichen Beziehungen für das Entstehen von besonderen Verpflichtungen? Kann eine unfreiwillige Basis uns vor manchmal lästigen Pflichten gegenüber Familie, Freunden oder Partner befreien, ohne dass man schlechtes Gewissen dabei habe müsste?

Diese Ansicht vertritt der Voluntarismus. Die größte Sorge der Voluntaristen ist, dass besondere Verpflichtungen unsere persönliche Freiheit einschränken könnten. Darum sind sie nur dann bereit, besondere (moralische) Verpflichtungen anzuerkennen, wenn diese auf einer freiwilligen Basis entstanden sind. Wie aber soll diese Basis aussehen?

Ein Versprechen ist eine besondere moralische Verpflichtung und wird innerhalb der unparteiischen Moral als eine solche anerkannt. Es gilt als das Paradebeispiel einer expliziten freiwilligen Handlung. Durch das freiwillig gegebene Versprechen entsteht eine Bindung zwischen dem Geber und dem Adressaten des Versprechens, woraus eine besondere Verpflichtung hervorgeht, dieses Versprechen einzuhalten. Der Inhalt der Leistungen eines Versprechens ist festgelegt und mit dem Einhalten des Versprechens erlischt auch die Verpflichtung.

Verglichen mit einem Versprechen, sind besondere Verpflichtungen aus persönlichen Beziehungen nicht so klar definiert. Die meisten besonderen Verpflichtungen gegenüber uns nahestehenden Personen geben hingegen keine Auskunft über ihren Inhalt. Sie sind eher allgemein und stark situationsabhängig.

Wir nehmen an, eine (wahre) Freundschaft impliziert zum Beispiel, dass man für den anderen da ist, wenn er es braucht. „Für jemanden da zu sein“ heißt nur, dass man den Freund auf seinem Lebensweg begleitet und bei den wichtigen Lebensereignissen dabei ist. Die Anlässe dafür können sowohl erfreulich (z. B. abgeschlossenes Studium), als auch unangenehm (z. B. Krankheit) sein. Diese Verpflichtung kann auf unterschiedliche Art und Weisen erfüllt werden. Welche davon die richtige ist, hängt von der jeweiligen Situation ab.

Im Gegensatz zum Versprechen enthalten persönliche Beziehungen selten eine ausdrückliche Äußerung oder eine explizite Handlung, die als Grundlage besonderer Verpflichtungen gelten soll. Sie kommen meistens, wie zum Beispiel im Fall der Freundschaft, stillschweigend zustande – was aber nicht heißen soll, dass man sich nicht verpflichtet fühlt.

Streng genommen schließen Voluntaristen die Möglichkeit besonderer Verpflichtungen aus persönlichen Beziehungen von Grund auf aus, wenn sie diese auf aus einem Vertrag oder aus einem expliziten (freiwilligen) Versprechen resultierenden Obliegenheiten einschränken. Mit Ausnahme der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft, weisen persönliche Beziehungen in der Regel keine explizite freiwillige Handlung auf. Viel wichtiger scheint jedoch nicht die Tatsache zu sein, wie die Beziehung entstanden ist, sondern ob es in unserer Kontrolle lag, diese auf eigenen Wunsch zuzulassen.

Persönliche Beziehungen spielen eine wichtige Rolle in unserem Leben. Sie gehören zu den Grundprojekten, deren Verfolgung für unser Dasein essentiell ist. Dadurch prägen persönliche Beziehungen unsere soziale Identität. Wenn man annimmt, dass das Zustandekommen persönlicher Beziehungen außerhalb unserer Kontrolle liegt, würde das heißen, dass wir unsere eigene Identität nicht vollkommen selbst gestalten könnten. In so einer Sichtweise könnten sich andere zu stark in unser Leben einmischen und Ansprüche moralisch geltend machen, die unserer eigenen Intuition widersprechen.

Allerdings ist die Vorstellung, dass man ausschließlich durch seine eigenständigen Wahlhandlungen über die eigene Identität entscheidet auch utopisch. Wie gerne man auch daran glauben und festhalten möchte, es ist leider realitätsfern. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass unserer Entscheidungsfreiheit durch die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, deren Traditionen oder durch die Erziehung teilweise Grenzen gesetzt werden.

Obwohl wir nicht alle unsere zwischenmenschlichen Beziehungen frei wählen können, hebt das voluntaristische Prinzip nicht die aus ihnen hervorgehenden Verpflichtungen auf. Das Urteil über die Bedeutung, die eine Beziehung für einen hat, liegt stets bei einem selbst. Indem man eine persönliche Beziehung als solche anerkennt, nimmt man auch die daraus resultierenden Pflichten auf sich. Wie die Beziehung entstanden ist, macht an dieser Stelle keinen Unterschied mehr.