Logik, Moral und Welten
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Was ist das: Logik, Moral und Welten?

Die Themen „Logik“, „Moral“ und „Welten“ verbindet nicht nur eine lange gemeinsame Geschichte innerhalb der Philosophie (die Stoiker etwa unterteilten Philosophie in Logik, Ethik und Physik), sondern sie sind auch von besonderer Relevanz für moderne Technik und Naturwissenschaften. Was es philosophisch mit den Begriffen auf sich hat, bringen drei ExpertInnen auf den Punkt: Hannes Leitgeb, Professor für Logik an der LMU, Dr. Eva Sandmann, Biologin und Philosophin an der TUM und Dr. Tobias Jung, Physiker, Lehrer und Philosoph an der TUM.

Zur Logik

Was ist Logik? Die Lehre vom richtigen Schließen. Zum Beispiel: Ein Mord hat stattgefunden. Detektiv Bert Russell weiß, dass entweder Smith oder Jones der Mörder ist, und dass sie nicht zusammengearbeitet haben. Weiter stellt er im Zuge seiner Ermittlungen fest: (1) Wenn Smith zur Tatzeit betrunken war, dann ist Jones der Mörder oder Smith lügt. (2) Jones ist der Mörder, oder es ist so, dass Smith nicht betrunken war und der Mord nach Mitternacht stattgefunden hat. (3) Wenn der Mord nach Mitternacht stattgefunden hat, dann ist Jones der Mörder oder Smith lügt. (4) Wenn Smith nicht betrunken war, dann lügt er nicht. Wer ist der Mörder?

Wie gut, dass Russell eine Logikausbildung genossen hat. Die Sätze (1)-(4) sind vorgegebene „Prämissen“, aus denen unser Detektiv nun Schlüsse ziehen soll. Russell macht sich zunächst die logische Form dieser Prämissen klar. Er schreibt „p“ für „Smith war zur Tatzeit betrunken“, mit „q“ kürzt er „Jones ist der Mörder“ ab („nicht-q“ steht dann dafür, dass Jones nicht der Mörder bzw. Smith der Mörder ist), er verwendet „r“ für „Smith lügt“ und schließlich „s“ für „Der Mord fand nach Mitternacht statt“. Was Russell weiß, ist somit:

  1. (1) wenn p, dann q oder r.
  2. (2) q, oder nicht-p und s.
  3. (3) wenn s, dann q oder r.
  4. (4) wenn nicht-p, dann nicht-r.

Daraus Schlüsse zu ziehen, heißt nun: Die Information, die in (1)–(4) implizit enthalten ist, explizit zu machen. Dies kann auf verschiedene Weisen geschehen. Hier ist eine:

Russell nimmt zunächst einmal an: (5) nicht-q.Dies nennt man eine sogenannte „Reductio ad Absurdum“: (5) ist nicht etwa das Ergebnis von Russells Ermittlungen, sondern bloß eine temporäre Annahme, die Russell nur trifft, um sie auf einen Widerspruch zu führen. Er möchte zeigen: Wenn nicht-q der Fall wäre, dann würde etwas folgen, was nicht der Fall sein kann (wie sich später zeigen wird). Sobald ihm das gelungen ist, wird klar sein, dass vielmehr q der Fall sein muss. Denn nicht-q ist dann ausgeschlossen worden.

Unter der Annahme von (5) schließt Russell nun weiter auf: (6) nicht-p und s. Dies folgt aus (2) und (5) mit der logischen Regel des „Disjunktiven Syllogismus“: (2) besagt, dass q der Fall ist, oder aber nicht-p und s der Fall sind. (5) schließt den ersten dieser beiden Fälle aus. Unter der Annahme (5) folgt also: nicht-p und s.

Im nächsten Schritt extrahiert Russel die durch „und“ verbundenen Teile in (6) und schließt: (7) nicht-p. (8) s. Denn (6) sagt ja aus, dass nicht-p und außerdem s der Fall sind; dann darf Russell auch auf jeden dieser Teile separat schließen.

Russells nächste Schlussfolgerung geht von (3) und (8) aus: (3) hält fest, dass wenn s der Fall ist, auch q oder r der Fall sein muss. Gemäß (8) ist s der Fall. Also: (9) q oder r. Die zugehörige logische Regel heißt in der philosophischen Tradition: „Modus Ponens“. Aus (9) und (5) schließt Russell wiederum mittels der Regel des Disjunktiven Syllogismus: (10) r. Eine weitere Anwendung des Modus Ponens auf (4) und (7) ergibt: (11) nicht-r.

Nun ist Russell dort angelangt, wo er hinwollte: Unter der Annahme von (5) gelingt es ihm, sowohl auf r (in 10) zu schließen, als auch auf nicht-r (in 11). Zusammengenommen: (12) r und nicht-r.

Dies ist aber ein Widerspruch: Es kann nicht zugleich r und nicht-r der Fall sein! Das heißt aber auch: nicht-q (in 5) kann nicht der Fall sein. Denn aus den Fakten (1)-(4) und der Annahme (5) würde Unmögliches folgen. Somit muss das Gegenteil von (5) der Fall sein. Die Prämissen (1)-(4) implizieren also logisch die finale Konklusion: (13) q. q aber bedeutet: Jones ist der Mörder. Logisch, oder?*

Was Logiker tun, ist, Schlussfolgerungen wissenschaftlich zu studieren. Lässt sich präzise definieren, was es heißt, dass ein Schluss logisch gültig ist? Ja: so präzise, wie Begriffe in der Mathematik definiert werden. Lassen sich alle (z. B. für die Physik) logisch gültigen Schlüsse systematisch erzeugen? Ja: sogar mittels Computerprogrammen, wenn man möchte. Logik erlaubt es, Philosophie mit ähnlicher Exaktheit zu betreiben wie die Mathematik. (In philosophischen Prämissen geht es dann natürlich nicht mehr um Mordfälle, sondern um Wahrheit, Wissen, Wirklichkeit, Moral und dergleichen.) Logik ist aber auch für Mathematik und Informatik grundlegend. Bert(rand) Russell war übrigens einer der Begründer der modernen Logik und zugleich Literaturnobelpreisträger. Als Wissenschaft der rationalen Argumentation stellt Logik eine Brücke zwischen Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaften dar.

Zur Moral

Was ist Moral? Mit Moral assoziiere ich spontan viele Begriffe und sogar Personen: Gewissen, gute Intuition, Klugheit, Tugend, Mutter Theresa, M.K. Gandhi… Um der Frage systematischer nachzugehen, möchte ich acht exemplarische Aussagen einer Umfrage vorstellen. Die Befragten geben durch ihre Antworten, in ihrer Gesamtheit, eine gute „alltagsgebräuchliche“ Bedeutung von Moral wieder und spiegeln somit eine kontroverse philosophische Debatte.

Physiker einer großen deutschen Universität, 36 Jahre: Für mich ist Moral lehrbare Urteilskraft und hat viel mit meiner Familie und der Erziehung meiner Kinder zu tun. Ich erkläre ihnen, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Wir benutzen hierzu nicht den Zeigefinger, sondern haben ein Ampelsystem für die Familie etabliert. Rot heißt – das darfst du nicht, grün heißt – das sollst du tun und gelb heißt – Achtung! Das System bezieht sich natürlich grundsätzlich auf die Werte meiner Frau und mir.

Erzieher aus einem Münchner Vorort, 24 Jahre: Ich erfülle eine Vorbildfunktion in unserem Hort, deswegen sind Projekte wie z. B. unsere gemeindliche Mülltrennung für mich moralisch wertvoll. Für unsere nächste Generation ist es essentiell, die aktuell geltenden gesellschaftlichen codes of conduct frühzeitig kennen und verstehen zu lernen. Die damit verbundenen Selbstverpflichtungen als Gemeindemitglied müssen schließlich erlernt werden. Die Kinder lernen, sich an diese Regeln zu halten und handeln dann zukünftig nach ihrem besten Wissen und Gewissen.

Hinduistischer Priester einer kleinen indischen Gemeinde, Informatiker, 28 Jahre: Ich bin Brahmane und halte dreimal täglich Pujas für meine Gemeindemitglieder. Durch diese Rituale werden grundlegende Wertehaltungen im Alltag aufrechterhalten, die auf langjährigen Traditionen beruhen und unterschiedliche Glaubensgemeinschaften vereinen.

Chemikerin und Professorin einer amerikanischen Universität, 55 Jahre: Meine Führungsposition verlangt eine hohe Arbeitsmoral. Ich bin immer pünktlich und unterstütze alle Mitarbeitenden der Arbeitsgruppe in ihren unterschiedlichen Karrierestufen tatkräftig. Zu einer aktiven Nachwuchsförderung sind schließlich alle Professorinnen und Professoren in der Wissenschaft moralisch verpflichtet. Als Wissenschaftlerin hege ich große Sympathien für die Stellungnahmen der Anthropologen. Diese definieren Moral als normatives Regelwerk, welches sich direkt auf eine Gruppe oder Gesellschaft bezieht.

Bundesministerin und Juristin, 46 Jahre: Als deutsche Politikerin bin ich eine moralische Verpflichtung gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern in meinem Land eingegangen. Ich möchte mich nicht als Moralapostel darstellen, aber ich finde schon, dass eine gute Landespolitik nicht nur eng mit unseren sozialen Normen, sondern auch mit den gesellschaftsübergreifenden moralischen Normen verbunden ist.

Realschülerin, 16 Jahre: Der wichtigste moralische Wert ist für mich Gerechtigkeit. Durch solche grundsätzlichen Prinzipien kann unsere Welt überhaupt nur funktionieren. Damit so etwas aber alle kapieren, muss immer wieder darüber geredet werden. Ich glaube die Wissenschaft dazu heißt Ethik. Allerdings hilft so eine Wissenschaft nicht im täglichen Leben, da werden solche Werte und Begründungen immer wieder auf die Probe gestellt und müssen sich erst mal als „gut“ beweisen.

UNO Mitarbeiter und Agrarwirt, 72 Jahre: Ich habe mich als Weltbürger mein ganzes Leben für ein besseres Miteinander der Menschen eingesetzt. Moral ist für mich intuitives Wissen und heißt für mich die richtigen Prioritäten zu setzen, sowohl täglich, wöchentlich, jährlich als auch im gesamten Leben. Dabei hat mir immer eine tief verwurzelte, erdübergreifende Moral, die alle vernünftigen Menschen verbindet, Halt gegeben.

Venuswesen aus dem Bereich Astro-Resources, 307 Jahre: Moral ist ein überall im Universum gültiges, öffentliches, für alle leidensfähigen Wesen geltendes Wertesystem. Es ist intuitiv erkennbar und lässt somit alle Wesen zu jeder Zeit best-möglichst handeln. Ich hätte zum Thema auch eine Gegenfrage für dich. Nachdem ich deine Vernunftbegabung und Leidensfähigkeit noch nicht eindeutig bestimmen konnte, würde ich gerne wissen, ob du, wie ich, Leid und Schmerz bei moralischen Verstößen empfinden kannst?

Zu Welten

Die Untersuchung der Welt steht am Beginn der Philosophie, ist doch die Frage nach den Prinzipien der Welt als Inbegriff alles Seienden das beherrschende Thema der vorsokratischen Naturphilosophie. Die Welt ist das All (πᾶν/pan), in dem sich Werden und Vergehen vollziehen und das deshalb als Natur (φύσις/physis) aufgefasst werden kann. Gerade in den Bewegungen der Himmelskörper, der Drehung der das All begrenzenden Fixsternsphäre und den Bewegungen der Planeten, zeigt sich eine schöne Ordnung (κόσμος/Kosmos). Mit Platon stellt sich der Mensch im Horizont des von Gott, d. h. der Idee des Guten, durchdrungenen Alls die Frage nach dem guten Leben.

Mit der christlichen Theologie wird das Göttliche aus der Welt abgezogen und in einen transzendenten Bereich versetzt. Gott steht als Schöpfer der Welt gegenüber, welche als seine Schöpfung verstanden wird. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts unterscheidet R. Descartes auf seiner Suche nach einem unerschütterlichen Fundament (fundamentum inconcussum) der menschlichen Erkenntnis strikt das menschliche Bewusstsein von der „Außenwelt“. Das Bewusstsein als denkende Substanz (res cogitans) tritt der ausgedehnten Substanz (res extensa) gegenüber. Die entgöttlichte und bewusstlose Außenwelt lässt sich mit den Mitteln der Mathematik untersuchen, sie ist die Objektsphäre der Naturwissenschaft. Damit ist das All der griechischen Antike in die Sphären Gott, Mensch (Bewusstsein, Geist, Seele) und Welt auseinandergefallen.

I. Kants gesamte kritische Philosophie ist ein Versuch, Gott, Mensch und Welt wieder als Einheit zu denken. Dabei wird die Welt zu einer Vernunftidee, d. h. sie ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung, wenngleich wir alle unsere objektiven Erkenntnisse auf diese Idee hin ordnen. Deshalb, so Kant in der ersten kosmologischen Antinomie, lässt sich z. B. die Frage, ob die Welt einen Anfang hatte oder schon seit jeher besteht, naturwissenschaftlich nicht beantworten. Die Idee der Welt leitet uns zur Einheit unserer Erkenntnisse der Naturwissenschaft.

Wir Menschen finden uns aber nicht nur als Erkennende in der Welt vor, sondern vor allem als Handelnde. Moral ist nach Kant nur möglich, wenn wir Menschen uns auch anders als vollständig durch Naturgesetze determiniert verstehen können. Die naturwissenschaftliche Seite des Menschen gehört zum Bereich der Erscheinungen, der Sinnenwelt (mundus sensibilis). Die Freiheit eröffnet uns den Bereich der moralischen Welt, der Verstandeswelt (mundus intelligibilis).

Bei F. Nietzsche taucht erstmals der Begriff der Weltgeschichte auf, der im Rahmen der kosmologischen Modelle, insbesondere der Urknalltheorie, in der heutigen Physik aufgegriffen wird und in einer eigentümlichen Spannung zu den universellen Naturgesetzen steht. Im Zuge der aufkommenden Metaphysikkritik bestimmt L. Wittgenstein die Welt als „alles, was der Fall ist“, d. h. als „Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“. Empirische Tatsachen und Logik werden zu den einzig legitimen Mitteln einer möglichen Erkenntnis der Welt. Dabei bedeuten nach Wittgenstein die „Grenzen meiner Sprache […] die Grenzen meiner Welt“.

Der Plural Welten war schon bei den antiken Atomisten Leukipp und Demokrit in Gebrauch, spekulierten sie doch über deren Vielzahl. Im Sinne von ähnlichen Systemen, die in ein Größeres eingebettet sind, tritt der Begriff „Milchstraßen“ beim frühen Kant auf, womit er die spätere Erkenntnis der Galaxien vorwegnimmt. Mit Leibnizʼ Behauptung zur Verteidigung Gottes angesichts der Übel in der Welt, Gott habe die „beste aller Welten“ geschaffen, beginnt eine Tradition, die den Plural nicht unbedingt auf eine tatsächliche Realisierung eines umfassenden physikalischen Systems bezieht, sondern ein denkmögliches, in sich logisch widerspruchsfreies Konstrukt darunter versteht. Hieran knüpft u.a. im Rahmen der Modallogik bei S. Kripke die Sprechweise von „möglichen Welten“ an. In der heutigen Physik wird in der Quantentheorie von der Vielwelteninterpretation und in der Kosmologie von Multiversen als vielen Welten gesprochen.

Bereits diese wenigen Andeutungen zur Geschichte des Begriffs Welt(en) lassen die Implikationen erahnen, die sich im jeweiligen Verständnis dieses Begriffs verbergen. Diese Implikationen ans Licht zu heben und transparent zu machen, ist die Aufgabe der Philosophie, wenn sie ihrem Selbstverständnis, die Stellung des Menschen in der Welt zu bestimmen, gerecht werden will. Eine tiefer gehende Analyse der philosophiegeschichtlichen Transformationen des Begriffs Welt(en) ist zur Erfüllung dieses Anspruchs unabdingbar.